JHK 2024
Inhaltsverzeichnis
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Kampf der Systeme?
Cornelius TorpDie Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelten gemeinhin als das »Goldene Zeitalter des Wohlfahrtsstaats« in der industrialisierten Welt, als die Periode des forcierten Ausbaus sozialpolitischer Programme, dem erst mit den wirtschaftlichen Krisen der 1970er-Jahre der Treibstoff ausging. In den gleichen Zeitraum fiel die Hochphase des Kalten Krieges zwischen dem um die Sowjetunion gruppierten Block staatssozialistischer Länder einerseits und dem kapitalistisch-demokratischen Westen…
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Schutzgüte auf Abwegen – oder wie der Arbeitsschutz der DDR den der Bundesrepublik überholte, ohne ihn einzuholen
Thomas LindenbergerAm 18. Dezember 2001 meldete die Sächsische Staatskanzlei im Medienservice Sachsen: »Wissenschaftsminister Prof. Dr. Meyer verleiht Bundesverdienstkreuz an Prof. Gniza, Dresden […]«. Laut der sich anschließenden Pressemitteilung war Erwin Gniza ab 1953 stellvertretender Direktor des »Instituts für Arbeitsökonomik und Arbeitsschutzforschung« und von 1964 bis 1971 Direktor des »Zentralinstituts für Arbeitsschutz« gewesen. Er hatte nach seiner Emeritierung an der TU Dresden als Lehrbeauftragter…
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Caritas oder Kommunismus?
Marion Dotter»Wenn die Kirche Österreichs endlich im ruhigen Besitze dessen ist, was ihr gehört, dann erst kann sie auch alle Pflichten erfüllen, die auf diesem Besitze gegenüber der Öffentlichkeit liegen. […] Wir anerkennen und schätzen die Pflicht, mit dem Kirchenvermögen der sozialen Gerechtigkeit und dem zeitgemässen sozialem [sic!] Fortschritt zu dienen. Kirchenvermögen dient niemals der Bereicherung einzelner Personen oder einzelner Familien, dient niemals rein privaten Interessen, wie es sonst oft…
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Ausnahme oder Modell?
Paul Stubbs[1] Die intensiven Beziehungen, die das sozialistische Jugoslawien mit dem Globalen Süden vor allem im Rahmen der Bewegung der Blockfreien Staaten pflegte, stellen ein wichtiges Korrektiv zum Ost-West-Gegensatz dar, von dem die orthodoxe Geschichtsschreibung zum Kalten Krieg geradezu besessen ist. Dieser Gegensatz verdinglicht Westen und Osten zu homogenen Einheiten, um gleichzeitig den gesamten Süden zu ignorieren, zu marginalisieren oder aber in den Ost-West-Konflikt »hineinzufalten«. Schon…
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Autorinnen und Autoren des Jahrbuches für Historische Kommunismusforschung 2024
Herausgeber des Jahrbuches für Historische Kommunismusforschung 2024 Nikolas Dörr Prof. Dr., geb. 1979 in Bad Soden, Magister Artium (Neuere Geschichte, Psychologie, Rechtswissenschaften), Diplom-Politikwissenschaftler. Professor für Politikwissenschaft und politische Bildung an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg, zuvor u. a. Leiter der FIS-Forschungsgruppe »Der ›aktivierende Sozialstaat‹ – eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte deutscher Sozialpolitik, 1979–2017« und…
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»Im Kalten Krieg entscheiden die Bataillone der besseren Sozialleistungen.«
Nikolas DörrDer Titel der 4. Hermann-Weber-Konferenz 2022 klingt martialisch: »Im Kalten Krieg entscheiden die Bataillone der besseren Sozialleistungen.«[1] Der Ausspruch des damaligen sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Ludwig Preller (1897–1974) aus dem Jahr 1952 wird gerne zitiert, wenn es um die tatsächliche oder vermeintliche Bedeutung von Sozialpolitik im Kalten Krieg geht.[2] Preller selbst war anerkannter Sozialexperte. Schon während der Weimarer Republik hatte er im Reichsarbeitsministerium…
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Soziale Ungleichheiten in Zeiten des Kalten Krieges
Christoph LorkeSozialpolitik ist prädestiniert für die propagandistische Vermittlung gesellschaftlicher Normsysteme, Wunschprojektionen und Ordnungsvorstellungen. Das wussten bereits nicht nur führende nationalsozialistische Politiker.[1] Auch im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR lassen sich Fremd- und Selbstwahrnehmungen mittels sozialpolitischer Politiken, Praktiken und damit einhergehender Legitimationsmuster nachweisen. Im Rahmen der seit dem Beginn der Teilung erfolgten und sich im Laufe…
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Blühender Wohlfahrtsmarkt
Nicole KramerDie Verabschiedung des Pflegeversicherungsgesetzes im Jahr 1994 stellt einen bedeutenden Akt in der bundesdeutschen Wohlfahrtsstaatsgeschichte dar. Mit ihm wurde das bundesdeutsche Sozialversicherungssystem um eine fünfte Säule erweitert. Es gilt weiterhin als »Marktschaffungsgesetz«,[1] da darin enthaltene Regelungen die Tätigkeit privatwirtschaftlicher Anbieter von Pflegeversicherungen und Pflegeleistungen begünstigen. Als Startpunkt der Diskussionen, die dieser Reform vorausgingen, erscheint…
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Kommunistische Sozialpolitik während des Kalten Krieges
Maria Ignatova-Pfarr / Carina SchmittDie Ausbreitung des Kommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg führte in den Ländern Osteuropas zu tiefgreifenden sozioökonomischen Veränderungen. Im Einklang mit der kommunistischen Ideologie schufen die kommunistischen Regime eine neue Gesellschaftsordnung, die auf dem Grundsatz der sozialen Gleichheit beruhte, und erklärten die soziale Sicherheit zum Grundrecht aller Bürger. Außerdem übte die Sowjetunion Druck auf die Länder in ihrem Einflussbereich aus, egalitäre Systeme der sozialen Sicherheit…
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Interdependenzen zwischen Sozialpolitik und Demografie im (post-)kommunistischen Polen
Michael ZokDie 1970er-Jahre, charakterisiert durch »Détente« und »Entspannungspolitik«, leiteten eine neue Phase in den internationalen Beziehungen ein. Ereignisse und Konzepte wie die »neue Ostpolitik«, die Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Staaten des »Ostblocks«, darunter auch Reiseerleichterungen aus den staatssozialistischen Staaten in den »Westen«, waren hierfür kennzeichnend. Dennoch blieb die Systemrivalität zwischen »Kommunismus« und »Kapitalismus« bestehen; sie wurde nur…
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Kalter Krieg und Wohlfahrtsstaat. Kausalmechanismen und Auswirkungen
Klaus Petersen / Herbert Obinger / Michele Mioni»We must formulate and put forward for other nations a much more positive and constructive picture of sort of world we would like to see than we have put forward in [the] past. It is not enough to urge people to develop political processes similar to our own. Many foreign peoples, in Europe at least, are tired and frightened by experiences of past, and are less interested in abstract freedom than in security. They are seeking guidance rather than responsibilities. We should be better able than…
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»Frau Schmidt verkörpert in fachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht die Stellung der werktätigen Frau im Sozialismus.«
Jessica Lindner-Elsner[1] Wenn es in sozialistischen Gesellschaften um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ging, lag der Schwerpunkt vor allem auf der weiblichen Erwerbstätigkeit.[2] Die im Zitat der Überschrift angesprochene Frau Schmidt war eine Mitarbeiterin mittleren Alters und seit 1976 Leiterin des Walzstahllagers im Automobilwerk Eisenach (AWE), einer der zwei Pkw-Produzenten in der DDR und größter Arbeitgeber der Grenzregion Eisenach. In der Betriebszeitschrift des AWE, Der Motor, wird sie in einem…
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Transformation der Begriffe
Konrad SziedatDie zeithistorischen Umbrüche seit den 1970er-Jahren sind zuletzt aus verschiedenen Blickwinkeln heraus neu ausgeleuchtet worden.[1] Unter anderem haben sich aktuelle Forschungen verstärkt den Zukunftshorizonten der Zeitgenossen zugewendet.[2] So hat sich Christina Morina mit Demokratievorstellungen und -hoffnungen in der Transformationszeit vor und nach 1989/90 beschäftigt.[3] Der folgende Beitrag lenkt den Blick speziell auf (sozial-)politische Erwartungen am Ende des Kommunismus. Er…
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Die Überwindung »kapitalistischer Traditionen«
Judith Brehmer»Die Verbesserung der Krankenversicherung und der Sozialfürsorge ist ein weiterer bedeutender Beweis der Überlegenheit des sozialistischen Systems gegenüber dem kapitalistischen System.«[1] Mit diesen Worten stellte František Zupka, Vorsitzender des Zentralrats der Gewerkschaften (Ústřední rada odborů), Ende September 1956 die geplante Reform des tschechoslowakischen Sozialsystems dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (Komunistická strana Československa, KSČ) vor –…
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Die Freilassung Paul Merkers im Januar 1956
Jacques MayerPaul Merker war der höchste SED-Funktionär, der in den politischen Säuberungen Anfang der 1950er-Jahre in der DDR gemaßregelt, verhaftet und schließlich, zwei Jahre nach Stalins Tod, in einem Geheimprozess zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt wurde. Über den Vorgang ist, auch wegen des antisemitischen Hintergrunds, ausgiebig publiziert worden.[1] Merker[2], Jahrgang 1894[3], kam über die USPD 1920 in die KPD, wurde 1923 hauptamtlicher KPD-Funktionär mit Leitungsfunktionen im Bezirk…
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Zwischen Frauenemanzipation, Friedenssicherung und wirtschaftlichen Zwängen
Lukas GraweAls die Deutsche Demokratische Republik im Jahr 1949 gegründet wurde, hatten zwei verheerende Weltkriege tiefe Narben innerhalb der Gesellschaft des jungen sozialistischen Staates hinterlassen. Vor allem die Auswirkungen der erst vier Jahre zurückliegenden weltweiten kriegerischen Auseinandersetzungen waren zu dieser Zeit noch omnipräsent. Neben den psychischen und physischen Wunden bei Kriegsteilnehmern und Zivilbevölkerung hatte der Zweite Weltkrieg nachhaltige wirtschaftliche, soziale und…
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Sozialpolitik als Selbstverpflichtung
Maren HachmeisterI. Zum Sprachgebrauch des Komplexen in der DDR Ein »Komplex« oder etwas »Komplexes« bezeichnet im alltäglichen Sprachgebrauch ein geschlossenes Ganzes, das sich aus mehreren Teilen oder Dingen zusammensetzt, die vielfältig miteinander verknüpft sein können. Sachverhalte, die als »komplex« beschrieben werden, sind umfassend und erfordern nicht zuletzt deswegen besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt. Etwas als komplex zu bezeichnen impliziert zudem, dass es sich nicht »auf die Schnelle« oder mit…
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Historisch-vergleichende Forschungen zu Wohlfahrtsstaaten in Mittel- und Osteuropa
Tomasz InglotVor fast genau 48 Jahren, im August 1976, besuchte ich zum ersten Mal Berlin. Es war ein außergewöhnlich heißer Sommertag, 35 Grad im Schatten, als ich als 15-jähriger Schüler, frisch von der Grundschule und kurz vor dem Beginn des Gymnasiums in Wrocław (Polen), mit meinen Eltern im Zentrum der Stadt, auf der Ostseite der Mauer, ankam. Ich erinnere mich, dass wir uns im neu eröffneten Palast der Republik, dem Schaufenster der modernen Architektur der damaligen DDR, ein wenig abkühlen konnten. Es…
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Die Entwicklung eines sozialistischen Gesundheitswesens in Nordkorea während des Kalten Krieges
Natalia MatveevaFür die Länder des Ostblocks war die Frage der sozialen Sicherheit und Wohlfahrt von größter Bedeutung. Die Entwicklung der Wohlfahrtssysteme in diesen Ländern spiegelte die Veränderungen ihrer politischen und wirtschaftlichen Lage sowie gleichzeitig jene innerhalb des Ostblocks wider.[1] Die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK), Nordkorea, »der Vorposten des Sozialismus im Fernen Osten«, dessen Gesundheitssystem in diesem Beitrag untersucht werden soll, bildete keine Ausnahme. Die…
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Die Lechleiter-Gruppe in Mannheim
Linus Lanfermann-BaumannMartin Sabrow attestiert der heutigen Bundesrepublik Deutschland, den kommunistischen Widerstand weitgehend »vergessen« zu haben. Dies sei erstens ein Vermächtnis des Kalten Krieges, denn während das SED-Regime im Osten eine realitätsferne Überhöhung des heroischen »antifaschistischen« Kampfes anordnete und die DDR in staatslegitimatorischer Absicht als dessen Vermächtnis begriff, bewirkte das deutsch-deutsche erinnerungskulturelle Konkurrenzverhältnis im Westen eine langjährige Ausgrenzung, die…