Gedenkstätte

Gedenkstätte zur Geschichte der politischen Repression "Perm 36", Kutschino, Russland

Gedenkstätte zur Geschichte der politischen Repression "Perm 36", Foto: Bundesstiftung Aufarbeitung, Anna v. Arnim-Rosenthal

Die Gedenkstätte auf dem Gelände des früheren Straflagers »Perm 36« war einzigartig in der Russischen Föderation. Die Existenz der Einrichtung ist der langjährigen und beharrlichen Rekonstruktionsarbeit engagierter Aktivisten zu verdanken. Seit 1993 bemühten sich insbesondere die regionale Abteilung der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial in Perm sowie ehemalige Häftlinge der Lageranstalt darum, das Gelände für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In den zwanzig Jahren ihres Bestehens entwickelte sich „Perm–36“ unter zivilgesellschaftlicher Leitung von einem regionalen Erinnerungsort im Ural zu einem international angesehenen Museum, Mahnmal und Weiterbildungszentrum. Neben Praxisseminaren, Sommerschulen, Jugendbegegnungen und internationalen Fortbildungsprogrammen fand an diesem Ort auch das bekannte zivilgesellschaftliche Forum „Pilorama“ statt. Menschenrechtler, Wissenschaftler, Künstler, Politiker, Journalisten, sowjetische Dissidenten und ehemalige Lagerhäftlinge aus dem In- und Ausland kamen im Rahmen der Veranstaltung alljährlich zusammen, um über die historische Aufarbeitung des Sowjetregimes zu diskutieren und einen kritischen Dialog über Demokratie, Menschenrechte und politisch-gesellschaftliche Fragen zu führen. Mit der Rückkehr Wladimir Putins ins Präsidentenamt im Mai 2012 wurde die zivilgesellschaftlich getragene Gedenkstätte – geleitet von Tatjana Kursina und Viktor Schmirow – legalistischen Repressionen ausgesetzt und unter Druck der lokalen Regierung 2014 verstaatlicht. Seither befindet sich das gesamte Gelände zusammen mit der umgestalteten Ausstellung und den historischen Hinterlassenschaften im Besitz der Permer Gebietsverwaltung. Durch die Neukonzeption der Ausstellung im Sinne einer national-patriotisch motivierten Umdeutung der Geschichte wird die Repressions- und Leidensgeschichte der Opfer der kommunistischen Diktatur bagatellisiert und relativiert, zugleich die systematische Vermittlung eines verfälschten Geschichtsbildes staatlich gefördert.

„Perm 36“ kam bei der Verfolgung der Dissidenten eine besondere Bedeutung zu. 1980 wurde hier eine Zone des »besonderen Regimes« eingerichtet, wo Aktivisten der Bürgerrechts- und Nationalbewegungen isoliert wurden. Hier waren vor allem jene inhaftiert, die bereits mehrmals aufgrund ihres Engagements mit dem sowjetischen System in Konflikt geraten waren. Unter ihnen befanden sich Sergej Kowaljow, Lewko Lykjanenko, Anatolij Martschenko, Lew Timofejew, Wasyl Stus und Vasil Gajauskas. Mit Beginn der Perestroika begann der endgültige Niedergang des sowjetischen Straflagersystems. Nach einer Amnestie im Jahr 1988 wurde ein kleiner Teil der Insassen entlassen und die verbliebenen Häftlinge nach Perm 35 überstellt. Perm 36 war damit aufgelöst. Erst im Februar 1991 erlangten die letzten Insassen des „Permer Dreiecks“ die Freiheit, wobei das Lager offiziell bis 1992 bestand. Nach der Schließung begann der Geheimdienst mit der systematischen Zerstörung des Geländes. Fast alle Gebäude und Sicherungsanlagen wurden mit Bulldozern eingeebnet.

Die ursprünglich von zivilgesellschaftlichen Kräften getragene Gedenkstätte beherbergte das 1995 eröffnete GULag-Museum, das in Kooperation mit dem Andrej-Sacharow-Zentrum Moskau und der Gebietsverwaltung Perm entstand. Für museale Zwecke wurden zwei Bereiche des Lagers kontinuierlich rekonstruiert. Neben dem Hochsicherheitsbereich für »unverbesserliche« politische Häftlinge und Dissidenten wurden auch Teile der »gemäßigten Lagerzone« wieder errichtet. Im Hochsicherheitslager wurden die Absperrungen, Wachtürme, Schlaf- und Arbeitsbaracken wiederhergestellt. Neben der Rekonstruktion leistete die Gedenkstätte Öffentlichkeitsarbeit. In den vergangenen Jahren konnten zahlreiche Publikationen herausgegeben und der Aufbau eines Zeitzeugen- und Videoarchivs vorangetrieben werden. Der Wiederaufbau des Lagergeländes erfolgte im Rahmen von internationalen Freiwilligenprojekten. Zusätzlich wurden Schüler und Studenten aus der Region in diese Arbeiten einbezogen. Das Museum konzipierte in dieser Zeit auch Wanderausstellungen zur Geschichte der politischen Repression. Ende 2013 sah sich die Gedenkstättenleitung gezwungen, die Einrichtung in staatliche Trägerschaft zu überführen, um der Stigmatisierung als „ausländischer Agent“ zu entgehen – eine Einschätzung, die sich seit dem Erlass der scharf kritisierten NGO-Gesetzgebung auf den Erhalt ausländischer Stiftungsgelder bezieht. Unter diffamierenden Anschuldigungen wurde die Mitbegründerin und langjährige Gedenkstättenleiterin durch eine neue Leitung ersetzt. Seit der Wiedereröffnung des Museums, nun unter ausschließlicher Trägerschaft der Permer Gebietsverwaltung, wird anstelle des Gedenkens an die Opfer der Repressionen der Beitrag der Inhaftierten zum sowjetischen Sieg über den Hitlerfaschismus in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Die Repressionen werden als ein notwendiges Übel zum Erhalt der Sowjetunion interpretiert. Die Häftlinge – so die neue Darstellung – hätten durch ihren Arbeitseinsatz zum Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“ beigetragen. In geleiteten Führungen durch die Ausstellung wird hervorgehoben, dass alle Insassen des Strafvollzugs „Feinde der Sowjetunion“ und „Kriminelle“ und daher zurecht inhaftiert gewesen seien. Neue Installationen wie etwa ein medizinisches Untersuchungszimmer, ein Umkleideraum sowie eine Lagerbibliothek vermitteln den Eindruck passabler Haftbedingungen. Keines dieser neu konstruierten Geschichtsbilder gibt Auskunft über die tatsächliche Realität des Lebens in den Lagern des GULags.

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