Im Bereich Lesen finden Sie einen kommentierten Querschnitt von Büchern und Online-Ressourcen zur Geschichte des Kommunismus.
Die umfangreiche wissenschaftliche Literatur wird in der Unterkategorie Analyse gesammelt und ausgehend von wichtigen Autorinnen und Autoren sowie für die Forschung relevanten Werken laufend erweitert. Thematisch und methodisch unterschiedliche Ansätze werden berücksichtigt und inhaltlich ausgerichtete Websites vorgestellt.
Bei Quellen sind Hinweise auf Quelleneditionen und Online-Portale aufgelistet, über die der Zugriff auf Originalquellen möglich ist. Die Website kommunismusgeschichte.de stellt nur wenige Quellen selbst zur Verfügung, sondern lotst den User gezielt zu weiterführenden Portalen.
Die Biografien und Autobiografien kommunistischer Führer, Politiker und Oppositioneller werden bei Biografien eingeführt und immer in kurzen Texten angeteasert und mit Rezensionen verlinkt. Romane und Erzählungen finden Sie bei Belletristik, wo zunächst Neuerscheinungen eingepflegt werden.
Bei LiesMich! sind die Kurzrezensionen renommierter Wissenschaftler, Historiker und Journalisten versammelt, die Ihre „Lieblingsbücher“ zur Kommunismusgeschichte vorstellen. Die Rezensionen stellen neue und alte Forschungsliteratur, Biografien und Romane vor, die es immer wieder wert sind, gelesen zu werden.
Im Labyrinth der Worte
Kommunismus und Sozialismus im Sprachgebrauch der SED-Ideologie
„Mein teurer Freund, ich rat‘ Euch drum/Zuerst Collegium Logicum. Mit diesen Worten beginnt in Goethes im „Faust“, die ironische Abrechnung des Dichters mit der Universitätsgelehrsamkeit, mit welcher er in seiner Jugend nicht eben die besten Erfahrungen gemacht hatte. Er lässt Mephisto, in Fausts Talar gehüllt, höhnisch die Fakultäten durchhecheln: „Denn eben wo Begriffe fehlen,/Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein./Mit Worten lässt sich trefflich streiten,/Mit Worten ein System bereiten,/An Worte lässt sich trefflich glauben,/Von einem Wort lässt sich kein Jota rauben.“
Wenn das Stück in der DDR auf die Bühne kam, gab es bei der Studierzimmerszene regelmäßig Gelächter und Szenenbeifall. Den Leuten kam das Jonglieren mit leeren Worten nur allzu bekannt vor. Am 30. September 1968 löste die Faust-Inszenierung des Deutschen Theater in Berlin sogar einen veritablen Skandal aus. Während der Premiere verließen die Vertreter der Parteiführung wutentbrannt den Saal und das Publikum tobte am Schluss der Vorstellung vor Begeisterung.
Dabei ging es doch nur um Worte. Doch das System war – ganz wie Mephisto spottet – auf Worte gegründet. Und Worte wurden, zumal einige Wochen nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings, auf die Goldwaage gelegt. Das von einem Prager Komiker erfundene Wort vom „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ lag den Herrschenden in der DDR wie ein Wackerstein im Magen, seitdem es Alexander Dubček aufgegriffen hatte und es zum Schlagwort geworden war. Im Juni des Jahres hatte das oppositionelle Manifest „2000 Worte“ die Bruderstaaten auf den Plan gerufen. Nach deren Einmarsch am 21. August 1968 meinten die Tschechen ironisch „Für jedes Wort ein Panzer“. Doch dieses Witzwort ging ins Leere. Es waren weit mehr als nur zweitausend Panzer, die das Land überrollt hatten.
Lauter Worte also. Doch zwischen Demokratischem Sozialismus und Sozialistischer Demokratie gab es einen Riesenunterschied. Die Forderung nach Demokratischem Sozialismus galt in der DDR als konterrevolutionär und konnte seinen Urheber für Jahre in den Knast bringen. Diese staatliche Reaktion war im Verständnis der SED ein Ausdruck der Sozialistischen Demokratie, die angeblich im Lande herrschte. Im Labyrinth der Wörter konnte man sich leicht verirren. Es bestand aus Buchstaben, Wörtern, Thesen und Texten. Sie waren gewissermaßen der Mörtel der Gefängnismauern, ohne den die Steine nicht gehalten hätten. Und der Schlussstein, der das Gewölbe trug, waren die Begriffe Sozialismus und Kommunismus.
Die Insel Nirgendwo
In den mediterranen Kulturen gibt es die Legenden vom Goldenen Zeitalter oder von den Glücklichen Inseln jenseits der Säulen des Herakles. Angesichts ihrer bedrängten Wirklichkeit träumten die Menschen von alten Zeiten und fernen Inseln, auf denen die Menschen ohne Eigentum in Eintracht und Frieden lebten. Friedrich Engels nannte die Gesellschaft vor der Entstehung des Privateigentums Urkommunismus und einige marxistische Theoretiker griffen diese These auf. Die klassenlose Gesellschaft der Zukunft wäre dann auch zu einer Art Rückkehr in den glücklichen Urzustand der Menschheit.
Geradezu modern mutet uns der Idealstaat des griechischen Philosophen Plato an. Er basiert auf dem Gemeineigentum und einem allmächtigen Staat. Die Obrigkeit plant und lenkt in dieser Idealgesellschaft die Fortpflanzung und die Erziehung der Kinder. Dadurch soll eine große Gemeinschaft entstehen, in der die Nachkommen keine Bindungen zu ihren Eltern haben. Kinder mit angeborenen Defekten sollten ausgesetzt oder getötet werden. Auch der Berufsstand der Wächter fehlt in Platons Staat nicht, ebenso wenig wie Bücherverbote. Die homerischen Epen waren im schönsten aller Staaten verboten.
Im Mittelalter dominierten chiliastische Endzeitvorstellungen vom Ewigen Reich des Friedens. Doch als sich die Gelehrten der Renaissance in die antiken Philosophie vertieften, erwachte auch die platonische Staatsidee zu neuem Leben. Der britische Lordkanzler Thomas Morus (1478-1535) lieferte mit seinem 1516 veröffentlichten fiktiven Bericht über „Utopia“ den politischen Träumereien der folgenden Jahrhunderte den Namen. Immerhin geht es auf der „Insel Nirgendwo“ nicht ganz so rabiat zur Sache wie bei Plato.
Doch der 1602 erschienene „Sonnenstadt“ von Tommaso Campanella (1568-1639) entwirft einen Gottesstaat, in dem die wirtschaftliche Tätigkeit wie das Geschlechtsleben streng geregelt sind. Nach den Maßgaben der Zuchtwahl werden die Paare durch eine spezielle Behörde auf Zeit zusammengeführt. Und auch sonst hat sich der Einzelne dem Gemeinwohl zu fügen. Der Besitz von weiblichem Tand wie Schminke wurde mit dem Tode bestraft. Im 17. Und 18. Jahrhundert werden die Staatsutopien zu einer eigenen literarischen Gattung.
Durch alle kommunistischen Utopien zieht sich wie ein roter Faden das Phänomen, dass überall wo der Mensch zu seinem Glück gezwungen wird, bereits in der Theorie der Zwang bald das Glück überwiegt. Dennoch oder gerade deswegen erfreuten sich die kommunistischen Utopien im sowjetischen Machtbereich seit 1917 einer hohen Wertschätzung, In der DDR erschienen die Grundtexte des utopischen Kommunismus teils in wissenschaftlichen Editionen, teils in Taschenbücher und waren sogar Gegenstand von historischen Romanen und Kinderbüchern.
„Ein Gespenst geht um in Europa“
Die beiden modernen Begriffe Sozialismus und Kommunismus betraten im frühen 19. Jahrhundert gemeinsam die Bühne der Weltgeschichte. In beiden Fällen bezeichnen sie sowohl die politische Bewegung als auch die erstrebte Gesellschaftsform. Die bis heute herrschende Begriffsverwirrung war also bereits in den Ursprüngen angelegt. Hinzu kommt, dass die der modernen Begrifflichkeit zugrunde liegenden lateinischen Wörter socialis und communis fast die gleiche Bedeutung haben, nämlich gemeinschaftlich. In ganz Europa blühten Sekten und Geheimbünde, die sich angesichts des sozialen Elends der frühen Industrialisierung von der Abschaffung des privaten Eigentums ein Reich der ewigen Harmonie versprachen. Einer von ihnen war der 1844 gegründete Bund der Gerechten der sich 1847 in Bund der Kommunisten umbenannte. Karl Marx und Friedrich Engels, als die beiden hellsten Köpfe dieser Handwerkerassoziation erhielten den Auftrag, das „Manifest der kommunistischen Partei“ zu verfassen, das im Februar 1848 in deutscher Sprache in England gedruckt wurde.
Das Manifest begann mit dem rasanten Satz „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“. Es umfasste auf ursprünglich nur 23 Druckseiten die Interpretation der Geschichte als „Geschichte des Klassenkampfes“ und die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise sowie einige aktuelle politische Forderungen. Über den Kommunismus als Gesellschaftsform sagte die Schrift wenig aus. Dennoch war die Mischung aus Wissenschaft und Heilslehre von gewaltiger Anziehungskraft. Das Kommunistische Manifest wurde zum meistgelesenen Text der Arbeiterbewegung. Auch in der DDR war er Pflichtlektüre und nicht nur den ersten Satz, sondern auch den letzten kannte jeder. Er stand jeden Tag im Kopf der Parteizeitung Neues Deutschland: „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“
Sozialismus oder Kommunismus?
Obwohl der Begriff Kommunismus seit dem Manifest unlösbar mir der proletarischen Bewegung verbunden war, nannten sich die seit etwa 1860 entstehenden Arbeiterparteien durchgängig nicht kommunistisch, sondern sozialistisch oder sozialdemokratisch und ihre internationale Vereinigung Sozialistische Internationale. Sozialistisch wurde zum dominierenden Bezeichnung für die Bewegung und die von ihr ins Auge gefasste Gesellschaftsform.
Nach dem Scheitern der Sozialistischen Internationale, die 1914 den Weltkrieg nicht hatte verhindern können, erlebte der Begriff Kommunismus eine Neugeburt. In Deutschland wurde zur Jahreswende 1918/19 die Kommunistische Partei (KPD) gegründet und ihre Vertreter nahmen 1919 in Moskau an der Gründung der Kommunistischen Internationale teil, die sich selbst bald schon Komintern nannte und in nationale Sektionen aufgegliedert war, deren stärkste außerhalb der Sowjetunion die KPD war.
Kommunist wurde für die Mitglieder der Partei zum heroischen und pathetischen Ehrennamen und für deren Gegner zum Schimpf- und Angstwort. Der Begriff kommunistisch rief Assoziationen hervor, die das breite Publikum zu erschrecken vermochten Er roch nach Konspiration, blutigem Aufruhr und Terror. Der Begriff Sozialistisch dagegen war damals eher in der Nähe von sozialdemokratisch angesiedelt. Das klang nach friedlichem Übergang zur neuen Gesellschaft auf parlamentarischem Wege. Von dort war es zum Vorwurf des Verrats oder gar des Sozialfaschismus nicht weit.
Als im Juni 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone die antifaschistischen Parteien ihre Programme vorlegten, verkündete die KPD, dass zunächst die bürgerliche Revolution von 1848 vollendet werden müsse. Die SPD dagegen proklamierte den Sozialismus als politische Tagesaufgabe.
Der unter erheblichem Druck vollzogene Zusammenschluss von KPD und SPD am 21. April 1946 erfolgte unter dem Namen Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Die explizit kommunistische Symbolik wie der Rote Stern, Hammer und Sichel oder der Rotfrontkämpfergruß wurden nur in historischen oder internationalen Zusammenhängen erwähnt. Selbst Sozialismus war von nun an bezogen auf die DDR nicht mehr die Rede. Dieie sowjetisch dominierten Sattelitenstaaten Osteuropas bezeichnete man mit dem tautologischen Wort Volksdemokratie.
Nachdem 1952 die Initiativen Stalins zur Herbeiführung eines neutralen Deutschland gescheitert waren, bekam die SED aus Moskau grünes Licht für den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“. Er wurde von Walter Ulbricht am 12. Juli 1952 auf der 2. Parteikonferenz der SED verkündet. Wieder war es nur ein Wort, das nun aus der ideologischen Trickkiste gezogen wurde, doch die Konsequenzen waren erheblich. Die Versorgungslage verschlechterte sich durch den Aufbau der Schwerindustrie, auf den Mittelstand, die Bauern und die Kirche wurde massiver Druck ausgeübt, die Gesellschaft wurde militarisiert und die Arbeitsnormen sollten erhöht werden. Innerhalb von elf Monaten brachte die Parteiführung eine brave und arbeitssame Bevölkerung derartig zur Weißglut, dass sie am 17. Juni 1953 ihrem Unmut in Massenstreiks und Demonstrationen Luft machten. Nach dem Volksaufstand verschwand der Begriff Sozialismus für fast zwei Jahre in der Versenkung. Man behalf sich mit dem nun ebenso inflationär gebrauchten Begriff „demokratisch“.
100 Jahre leben, ohne zu altern
Vom 17. bis 31. Oktober 1961 tagte in Moskau der XXII. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Im zu diesem Zweck erbauten gigantischen Kongresspalast im Kreml wurden ein neues Parteiprogramm und ein neues Parteistatut angenommen. Solche Parteitagsbeschlüsse und die dazugehörigen Reden füllten zwar regelmäßig die großformatigen Seiten des SED-Zentralorgans Neues Deutschland, doch kaum jemand vermochte sich durch die Bleiwüsten der eintönigen Texte durchzuarbeiten. Diesmal kündigten sich jedoch wahrhaft große Dinge an. Innerhalb von 20 Jahren sollte der Kommunismus errichten werden. „Die Produktion der Industrie wächst bis 1980 auf das sechsfache, die der Landwirtschaft auf das 3,5-fache“, verkündete der Parteitag in Moskau: „Die UdSSR erreicht die höchste Produktion in Industrie und Landwirtschaft in der Welt und übertrifft damit die fortgeschrittensten kapitalistischen Länder. […] Es wird das Prinzip gelten: Jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Zuerst würde es die Grundnahrungsmittel umsonst geben, dann würde man Miete und Strompreise und schließlich das Geld überhaupt abschaffen. Jeder könnte sich dann im Laden aus der Überfülle des Angebots so viel mitnehmen, wie er brauche. Damit gehörten auch Verbrechen, Gerichte, Gefängnisse der Vergangenheit an. Der Unterschied zwischen körperlicher und geistiger Arbeit würde verschwinden. Die Arbeit sei dann nur noch Lebens- und Glückserfüllung. „Der Traum, 100 Jahre zu leben, ohne zu altern, wird Wirklichkeit“, erfuhren die erstaunten Leserinnen und Leser auf der Titelseite des SED-Zentralorgans. All dies sollte bereits 1980 Realität werden. Der Aufbruch nach Utopia war im Kalender angekreuzt.
Einige Tage später eröffneten auch in der DDR alle Zeitungen eine jener gesteuerten Leserbriefdiskussionen, wie sie damals bis zum Überdruss organisiert wurden. Doch sowohl in der Sowjetunion als auch in der DDR trug die Diskussionswelle durchaus neue Züge. Nicht, dass die wirklichen Probleme der sozialistischen Gesellschaft nun diskutiert worden wären. Davon konnte keine Rede sein. Doch die gesamte Agitationswelle war ausgesprochen realitätsnah gestaltet. Die FDJ-Zeitung Junge Welt hatte bereits im Sommer 1961 eine Artikelserie über das Leben im Jahr 2000 eröffnet. Dazu erreichten sie viele Leserbriefe, in denen Jugendliche ihre Fantasie in die Zukunft schweifen ließen. Elke S. aus Halle (Saale) beklagte sich über „Ich-Menschen“: die nur ihre persönlichen Vorteile sehen. „Sie wollen vorwärts kommen, viel verdienen, ein Häuschen mit Garten besitzen, aber möglichst ›unpolitisch‹ sein. Welche Rolle ich dabei spielen möchte? Ich könnte mir z.B. gut vorstellen, dass ich an einer riesigen Schalttafel sitzend ohne weiteres den führerlosen, einschienigen Schnellverkehr zwischen Komsomolsk und Paris regeln würde. Ein kühner Traum? Warum nicht.“
Doch wo es viel Hoffnung gibt, ist auch die Enttäuschung nicht fern. Egal, ob jener Brief tatsächlich von einer jungen Leserin aus Halle stammt, oder ob er in der Redaktionsstube verfertigt wurde – der Konflikt ist vorprogrammiert. Wenn Elke S. also wirklich existiert hat, so hat sie möglicherweise eines Tages nach den Ursachen für den verbreiteten Rückzug ins Private gefragt. Die inneren Spannungen in der sozialistischen Gesellschaft speziell der sechziger Jahre erwuchsen ja aus der Diskrepanz zwischen Theorie und Wirklichkeit. Jedenfalls musste Elke S. noch einige Jahre warten, bis sie einen Zug nach Paris besteigen konnte, und sie hat sich sicher damit abgefunden, dass die Eisenbahn immer noch auf zwei Schienen fuhr.
Sozialismus und kein Ende?
Mit dem Sturz Chruschtschows 1964 wurde es still um die kommunistische Heilserwartung. Stattdessen machten sich neue Floskeln breit. Walter Ulbricht erfand den „Sozialismus als relativ eigenständige Gesellschaftsformation“ und die „sozialistische Menschengemeinschaft“. Es wimmelte nun von dem Adjektiv sozialistisch, das nahezu zwanghaft jedem Hauptwort vorangesetzt wurde. Im sozialistischen Bildungssystem wurden sozialistische Schülerpersönlichkeiten herangebildet, die an den sozialistischen Hochschulen zu sozialistischen Kadern wurden, die die sozialistische Wirtschaft zu führen und sich an den Werken des Sozialistische Realismus zu erfreuen hatten und so weiter. Die Aufblähung jeglicher Texte in der sozialistischen Tagespresse grenzte an Papierverschwendung, so dass man auf Abkürzungen zurückgriff, wie NÖSPL für Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung oder EGSS für Entwickeltes gesellschaftliches System des Sozialismus. Gesellschaft des Sozialismus.
So tot diese längst erkaltete Wortleichen waren, so lebendig war die Idee des Sozialismus. Wolf Biermann sang 1963 in seinem Lied „Warte nicht auf bessre Zeiten“: „Und das beste Mittel gegen/Sozialismus (sag ich laut)/Ist, dass ihr den Sozialismus/Aufbaut! Aufbaut!“. Die ursprüngliche Idee wurde in Stellung gebracht gegen ihre Verfälschung. Das taten die Ketzer und Kirchenreformer zu allen Zeiten, wenn sie mit dem Evangelium in der Hand die große Hure Babylon anklagten. Die kritischen Geister in der DDR sprachen gern „Mit Marx- und Engelszungen“ wie Biermann eines seiner Textbücher nannte. Unter dem Eindruck der linken Kritik erfanden die SED-Ideologen das merkwürdig defensive Schlagwort vom „real existierenden Sozialismus“, dass sie allen Träumereien von einem freiheitlichen Sozialismus entgegensetzten. Die ewigen Lästermäuler spotteten: „Wir wollen keinen real existierenden Sozialismus, wir wollen wirklichen Sozialismus“. Bei der Massendemonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 bekannten sich Stefan Heym, Christa Wolf und andere Redner ausdrücklich zum Sozialismus und der Beifall war enthusiastisch.
Dann fiel die Mauer und der Zuspruch zu weiteren sozialistischen Experimenten wurde leiser. Immerhin wurde der Sozialismus terminologisch gerettet durch die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Dass die SED als Tarnnamen jenen Begriff wählte, der in der DDR den Staatsanwalt auf den Plan gerufen hatte, war nicht ungeschickt. Seltsamer war, dass nach 45 Jahren der strikten Ablehnung des Namens kommunistisch, nun eine romantisch-sentimentale Wiederbelebung des Wortes stattfand. Selbst Erich Honecker bezeichnete sich so und hob die geballte rechte Faust zum proletarischen Gruß als ihn Beamte der Staatsanwaltschaft nach seiner Rückkehr aus Moskau vom Flughafen in die Justizvollzugsanstalt begleiteten. Die linke Sekte mit dem Traditionsnamen KPD, welcher der aus der SED ausgeschlossene ehemalige Generalsekretär nun beitrat, blieb ein kümmerliches Pflänzlein. Mehr Aufsehen erregte die Kommunistische Plattform im Rahmen der PDS, deren Gallionsfigur die junge Genossin Sarah Wagenknecht wurde, die nun gegen den Kapitalismus attackierte. Doch auch dort blieb es bei einer Art Salonkommunismus, der bürgerliche Karrieren und geschäftlichen Erfolg keineswegs ausschloss. Immerhin hat Wagenknecht die Linkspartei gründlich ruiniert um an seine Stelle ein Parteimodell zu stellen, das den Personenkult schon im Parteinamen antizipiert.
So fand das siamesische Geschwisterpaar Sozialismus und Kommunismus im endlosen Labyrinth der Worte sein Ende. Künftige Generationen die mit einfachen Formeln die Welt erklären und verändern wollen, werden sich neue Schlagworte suchen müssen.
Über den Autor
Stefan Wolle ist ein deutscher Historiker und spezialisiert auf die Geschichte der DDR. Er ist wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums in Berlin und hat zahlreiche Publikationen zur Alltagskultur und den politischen Verhältnissen in der DDR verfasst. Wo