Rezension

Aleh Cherp, Nicolai Dronin, Dmitry Efremenko, Paul Josephson, Vladislav Larin, Ruben Mnatsakanian: An Environmental History of Russia

Rezensent: Wim van Meurs

Buchcover von Paul Josephson; Nicolai Dronin; Ruben Mnatsakanian; Aleh Cherp; Dmitry Efremenko; Vladislav Larin: An Environmental History of Russia

In meinem Studium der osteuropäischen Geschichte sorgten Bücher, die die internen Widersprüche und Dilemmas des Kommunismus hervorhoben, für die Faszination des Fremden und Unerklärlichen. Von den Völkern des Hohen Nordens führte meine Laufbahn mich zur Geschichte der Europäischen Union und zur Umwelt als neues Politikfeld. Die vor einigen Jahren erschienene Studie von Paul Josephson u.a. brachte für mich beides zusammen: Umweltpolitik und die UdSSR. Das Ausmaß der Umweltsünden in der Sowjetunion erklärt sich teils aus den Proportionen des Landes, vor allem aber aus dem stalinistischen Regime und seinen Zielen forcierter Modernisierung von Mensch, Gesellschaft und Natur. Erstaunlich sind somit zu Zeiten des Kalten Krieges nicht die Ost-West-Unterschiede in Umweltbewusstsein, Umweltpolitik und Protestbewegungen, wie sie Josephson und seine Mitautoren aufzeichnen. Faszinierend ist just die Tatsache, dass die Bolschewiken zapovedniki (Naturschutzgebiete) einrichteten. Dies gilt gleichermaßen für die Bürgerproteste, die sich etwa zeitgleich zu den neuen sozialen Bewegungen im Westen Gehör verschafften. Mehr als im Westen waren es auf Föderationsebene aber Schriftsteller und Wissenschaftler, die ihren politischen Kredit einsetzten, um jenseits der Öffentlichkeit die Obrigkeit zu Maßnahmen zum Schutze von Natur und Volksgesundheit zu bewegen. Im Zentrum steht für jede historische Phase die Umwelt – nicht als historischer Akteur, sondern als Objekt und Opfer staatlichen Gestaltungsdrangs. Chruschtschows Neulandgewinnungskampagne war eine ökologische Katastrophe ohnegleichen, und auch der Technologieglaube ließ kaum nach. Ähnlich wie nach 1991 führte Liberalisierung wohl kaum unmittelbar zu mehr Umweltbewusstsein bei der breiten Bevölkerung. Die Autoren scheuen insgesamt weder Vergleiche mit der Umweltfrage im Westen noch Kontinuitätslinien von Waldabholzung und Naturschutz unter Nikolas II. zu Stalins Industrialisierungspolitik und Ökonationalismus während der Perestroikazeit. Was staatliche Großprojekte und Ökozid anbelangt, lässt sich diese Linie mühelos bis zur Putins Winterolympiade in Sotschi durchzuziehen. Den Studien ist anzumerken, dass es der erste Versuch war, die anfangs genannten Fäden von Umweltgeschichte und Kommunismusforschung miteinander zu verknüpfen. Vielleicht ist diese Verknüpfung noch nicht ganz gelungen, aber faszinierend vom Forschungsobjekt her und erfrischend für beide Historiographien.

Informationen über den Rezensenten:

Wim van Meurs (Nijmegen), Associate Professor Dr. für europäische Politik und Zeitgeschichte an der Rad- boud Universităt Nijmegen (Niederlande), Vizepräsident der Südosteuropa-Gesellschaft in München.

Bibliografische Information

Aleh Cherp, Nicolai Dronin, Dmitry Efremenko, Paul Josephson, Vladislav Larin, Ruben Mnatsakanian: An Environmental History of Russia, New York: Cambridge University Press 2013.