Rezension

Alexander Schalck-Golodkowski: Deutsch-deutsche Erinnerungen

Rezensent: Hannes Schwenger

Cover von Alexander Schalck-Golodkowski: Deutsch-deutsche Erinnerungen, Reinbek: Rowohlt Verlag 2000.

EIN EHRENWERTER MANN

Alexander Schalck-Golodkowski war ein ehrenwerter Mann. Dazu brauchte der Stasi-Offizier im besonderen Einsatz sich keineswegs eine Kugel in den Kopf zu schießen, wie er 1989 in missverstandener Offiziersehre meinte. Es genügte, dass er auf Wolfgang Schäuble hörte: „Vertrauen Sie sich dem BND an. Die sind die einzigen, die Ihnen helfen können. Und vertrauen Sie auf Rechtsstaatlichkeit.“
Der Rat war gut, "denn dass ich einmal am Tegernsee wohnen würde, hätte ich mir 1989 nicht träumen lassen." Dort schrieb er als freier Mann im Jahr 2000 seine Memoiren, fast so unbescholten wie sein einstigen Dienstherr und Doktorvater Erich Mielke. Der genoss die Gnade der frühen Geburt, da die Strafen über 90-jähriger aus den Registern getilgt werden. Schlack musste bis zur Tilgung seiner 16 Monate auf Bewährung noch eine Weile warten, aber - so schrieb er in seinen Memoiren - "damit kann ich leben." Sogar ohne Doktortitel, den er wegen Erwerbs am Stasi-Institut "Juristische Hochschule Potsdam" abgeben mußte. Nachträglich wollt er wissen, dass Mielke die Arbeit "etwas unwillig" betreut habe.
 Sein langjähriger Verhandlungspartner im Westen, Günter Gaus, würdigte die Memoiren des Staatssekretärs und KoKo-Chefs und ging davon aus: „dass die Staatsanwaltschaft ein prüfendes Auge darauf geworfen hat. Waffenhandel? Schmiergelder scheinen nicht geflossen zu sein. Embargo-Verletzungen? Na immerzu. Schalcks Land befand sich in einem Kalten Krieg, der naturgemäß von beiden Seiten geführt wurde. Die Einbindung in die Staatssicherheit? Was ist daran erstaunlich?“ Nichts, und Schalck war ein ehrenwerter Mann.
„Ich hatte vom ersten Augenblick an das Gefühl: Mit dem kann ich“, revanchierte sich Schalck bei Gaus in seinen „Deutsch-deutschen Erinnerungen“. Doch von seinen ostdeutschen Landsleuten wurden die Memoiren wohl mit geteilten Gefühlen gelesen. Wer nur zum Weihnachtsfest von Schalcks KoKo mit Bananen versorgt wurde, wird es anders gelesen haben als Egon Krenz, der in Wandlitz rund um die Uhr von KoKo versorgt wurde. Wieder anders lasen es Bundesbürger, aus deren Steuermitteln die dazu nötigen Devisen stammten - zum Beispiel aus der Transitpauschale oder noch fataleren Häftlingsfreikäufen. Und noch einmal anders mussten es einstige DDR-Bürger lesen, die vor ihrer Ausreise von Honeckers Justiz, Mielkes Stasi und Schalcks KoKo-Firma Kunst und Antiquitäten GmbH ausgeplündert wurden. Dr. jur. Schalck war allerdings „davon ausgegangen, dass es sich um rechtmäßige Beschlagnahmen gehandelt hat“. Er hat schon damals dem Rechtsstaat vertraut.
Als Schüler besuchte er eine private Boxschule, als Lehrling boxte er in einer Betriebssportgemeinschaft, „nachdem ich bei einer Keilerei auf dem Tanzboden schlecht weggekommen war. Ich wollte nicht zu den Verlierern gehören.“ Das ist ihm gelungen. Am Ende der DDR besaß er zwanzig Orden der DDR und ein Wochenendhaus als persönliches Geschenk von Erich Honecker. Besonders wohl fühlte er sich in der „Kampfgruppe meines Ministeriums“, denn: "In den Kampfgruppen pflegte man die Kameradschaft." „erst recht auf dem Geburtstagsfest bei Kamerad Mielke. „Irgendwann setzte Mielke seinen Zylinder auf, bediente den Leierkasten und animierte die Gästeschar zum Mitsingen Berliner Lieder: ,Wer hat denn den Käse zum Bahnhof gerollt?‘“
Na, wer wohl? Kamerad Schalck, der Mann für „Sonderaufträge“. Er lieferte Käse und Mode aus dem Westen und Waffen nach Teheran. Noch an seinen letzten Tagen in der DDR registrierte er selbstbewusst: „Auch in dieser Situation war ich ein Mann für alle Fälle.“ Aber: „Schalck als James Bond des MfS, das ist eine Räuberpistole.“ Davon hat man auszugehen. Denn Schalck war ein ehrenwerter Mann.

Informationen über den Rezensenten:

Hannes Schwenger, Dr. phil., Literaturwissenschaftler, Publizist und Schriftsteller. Zahlreiche Veröffentlichungen und Herausgaben, u. a.: Die polnische Teilung des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS). In Selbstzeugnissen, Dokumenten, Briefen und im Zerrspiegel der MfS-Akten / Forschungsverbund SED-Staat. Zst.: Hannes Schwenger, Red.: Martin Jander, Berlin 1999.

Bibliografische Angabe

Alexander Schalck-Golodkowski: Deutsch-deutsche Erinnerungen, Reinbek: Rowohlt Verlag 2000.