Rezension

Bernhard H. Bayerlein, Jakov Drabkin, Alexander Galkin und Hermann Weber: Deutschland, Russland, Komintern. Reihe: Archive des Kommunismus – Pfade des XX. Jahrhunderts. 3 Bände

Rezensent: Wim van Meurs

Buchcover Bernhard H. Bayerlein, Jakov Drabkin, Aleksandr Galkin, Hermann Weber (Hrsg.): Deutschland, Russland, Komintern - I. Überblicke, Analysen, Diskussionen,  Berlin/Boston: De Gruyter 2014.

Angesichts der nichterfüllten Ambitionen der Kommunistischen Internationale (1919–1943) haben Historiker in Ost und West die Organisation stiefmütterlich behandelt, ja fast verschwiegen. So wie westliche Historiker den Völkerbund nach Gründung der UNO als Misserfolg abservierten, haben sowjetische Historiker die Komintern für das Misslingen der Weltrevolution verantwortlich gemacht und zudem als Hort ideologischer Deviationen verurteilt. Ohne Zugang zum 55 Mio. Seiten umfassenden Moskauer Komintern-Archiv kamen deutsche und angelsächsischen Geschichtsschreiber im Kalten Krieg kaum über eine Verurteilung bzw. Verspottung der Propagandaschriften der Komintern-Führung hinaus. Seit dem Zweiten Weltkrieg erschien auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs kaum eine fundierte Studie über die Komintern. Dagegen haben die Autoren der dreibändigen und über 2200 Seiten umfassende Großstudie „Deutschland, Russland, Komintern“ die Archivbestände mit Fokus auf die Kommunistische Partei Deutschlands und die deutsch-sowjetischen Beziehungen analysiert (Band I) und ediert (Band II). Angesichts der umfangreichen erstmals zusammengeführten Archivbestände wäre eine Beschränkung auf eine detaillierte und quellenmäßig belegte Nachzeichnung der in ihren wesentlichen Zügen bekannten Geschichte nachvollziehbar gewesen. Schließlich wurden Archivrecherchen in über zwanzig Archiven in sieben Ländern durchgeführt und die Studie umfasst ein Literaturverzeichnis mit über 1500 Titeln in fünf Sprachen. Die Herausgeber und Autoren haben sich jedoch höhere Ziele gesteckt. Die Verbindungen zwischen deutschen revolutionären und Moskauer Institutionen und Schlüsselfiguren werden als Netzwerk konzeptualisiert, vielschichtiger und ausgedehnter als die formalen dokumentierten Beziehungen zwischen KPD-Führung, EKKI (Exekutivkomitee der Komintern) und dem Politbüro des ZK der KPdSU(b). Angesichts der komplexen und ideologisch aufgeladenen mehrsprachigen Fachliteratur der letzten hundert Jahre zur Komintern (sowie zur KPD) wäre ein gesondertes historiographisches Kapitel als Orientierung im ersten Band diesbezüglich erstrebenswert, wenn auch außerordentlich anspruchsvoll gewesen. In Hinblick auf eine (erneute) Öffnung der russischen Archive für die historische Forschung mit dem Ziel einer zeitgemäßen Erschließung ihrer Bestände sowie einer vollständigen Digitalisierung als utopisches Fernziel stellt diese Studie aber bereits einen Quantensprung da.

Informationen über den Rezensenten:

Wim van Meurs (Nijmegen), Associate Professor Dr. für europäische Politik und Zeitgeschichte an der Rad- boud Universităt Nijmegen (Niederlande), Vizepräsident der Südosteuropa-Gesellschaft in München.

Bibliografische Angabe

Hermann Weber, Jakov Drabkin, Bernhard H. Bayerlein, Alexander Galkin: Deutschland, Russland, Komintern. Reihe: Archive des Kommunismus – Pfade des XX. Jahrhunderts. 3 Bände, Berlin/Boston: De Gruyter 2014.