Christopher Andrew und Wassili Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB. Moskaus Kampf gegen den Westen
Während des Geschichtsstudiums in Graz wurde mein Interesse für den Forschungsschwerpunkt intelligence studies durch die Beschäftigung mit dem Buch „Das Schwarzbuch des KGB“ in einer Lehrveranstaltung bei Prof. Siegfried Beer geweckt. Allein die Entstehungsgeschichte faszinierte mich: Wassili Mitrochin, seit 1948 Offizier in der Ersten Hauptverwaltung (Auslandsaufklärung) des MGB, wurde 1972 wegen zu offener Kritik ins Archiv der Ersten Hauptverwaltung versetzt. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1984 legte er ein „Privatarchiv“ aus Aktenkopien an, tausende Seiten. 1992 lief er via Baltikum zum britischen Nachrichtendienst über. Das hochbrisante Material führte u. a. zur Enttarnung von aktiven Informanten wie etwa Robert Lipka, einem Spion des SWR in der amerikanischen NSA. Nachdem westliche Geheimdienste das Aktenmaterial ausgewertet hatten, begann Christopher Andrew 1995 mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung für die Öffentlichkeit. Das rezensierte Buch ist das Ergebnis dieser Auswertung. Es enthält einen detailreichen Überblick über Operationen und Informantennetze der sowjetischen Auslandsspionage von den 1930er-Jahren bis zum Ende des Kalten Krieges. Klassische Schwächen von „Überläuferliteratur“ wie etwa sehr subjektive, unsystematische und für den Verfasser vorteilhafte Bewertungen oder lückenhafte und nicht verifizierbare Informationen werden vermieden. Die Darstellung der Auslandsoperationen ist chronologisch gegliedert, alle Schilderungen werden in den jeweiligen historischen Kontext und die Geschichte der Auslandsspionage selbst eingebettet und im Anhang ausgiebig kommentiert. Ein Personen- und Tarnnamen-Register ermöglichen die rasche Suche nach Beteiligten. Da inzwischen große Teile des „Mitrochin-Archivs“ online über die Homepage des „Cold War International History Project“ des Wilson Center zugänglich sind, können viele der erwähnten Aktionen im digitalisierten Material nachverfolgt werden, was für die Arbeitsweise der Autoren spricht. Das Buch vermochte mich deshalb so zu begeistern, weil es in wissenschaftlicher Form und kontextualisiert einen Einblick in einen Bereich gibt, der nur selten so im Detail analysiert werden kann. Es stieß für mich die Tür zur Erforschung und Analyse nachrichtendienstlicher Tätigkeiten im Kalten Krieg auf.
Informationen über den Rezensenten:
Dieter Bacher, Mag. phil, geb. 1981 in Leoben, Österreich, Studium der Geschichte und Slawistik an der Universität Graz von 2000 bis 2005. Zur Zeit Dissertationsprojekt zu britischen Nachrichtendiensten in Österreich während des frühen Kalten Krieges. Seit 2005 Mitglied des „Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies“ (ACIPSS), seit November 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung.
Bibliografische Angabe
Christopher Andrew, Wassili Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB. Moskaus Kampf gegen den Westen, München: Ullstein Taschenbuchverlag, 2. Aufl. 2001.