Rezension

Ernesto „Che” Guevara: The Motorcycle Diaries. Latinoamericana, Tagebuch einer Motorradreise 1951/52

Rezensent: Nikolas Dörr

Cover von Ernesto Che Guevara: The Motorcycle Diaries. Latinoamericana. Tagebuch einer Motorradreise 1951/52. Aus dem Spanischen von Klaus Laabs, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2004.

Wenige Kommunisten sind so sehr Teil der Popkultur geworden wie Ernesto „Che“ Guevara (1928-1967). Auch Jahrzehnte nach seinem Tod werden Kino- und Dokumentarfilme über ihn gedreht, Bücher geschrieben und sein Konterfei prangt weiterhin auf T-Shirts, Plattencovern und zahlreichen anderen Konsumprodukten.Guevara war ein passionierter Tagebuchschreiber. Die Lektüre dieser Tagebücher macht den Mythos „Che“ und die Faszination für kommunistische Ideale verständlicher. Gleichzeitig offenbaren die Bücher auch eine Naivität in der Wahrnehmung und Umsetzung solcher Ideen.
Die noch vor dem Beginn seiner revolutionären Kämpfe entstandenen Motorcycle Diaries stellen eine vorgeschaltete Phase sozialistischer Romantik Guevaras dar. Gleichzeitig sind sie ein Zeitdokument über das Südamerika der 1950er-Jahre. Die Beschreibung von Massenarmut, der schlechten Lage der indigenen Bevölkerung und der Arbeiter sowie der Unterdrückung und Verfolgung durch autoritäre Regime sprechen eine deutliche Sprache.
Die folgenden drei Tagebücher stellen eine – von Guevara ungeplante – Trilogie dar, die sich in ihrer chronologischen Reihenfolge als Geschichte des Aufstiegs, der Ernüchterung und schließlich des Niedergangs lesen lässt. Zusammen mit Fidel Castro, dessen Bruder Raúl und weiteren Guerilleros fährt der Mediziner und gebürtige Argentinier Guevara 1956 mit der Yacht „Granma“ nach Kuba, um den Diktator Fulgencio Batista zu stürzen. Obwohl gleich bei der Landung zahlreiche Mitkämpfer von den Truppen Batistas getötet werden, liest sich Guevaras Beschreibung des kubanischen Kampfes als Erfolgsgeschichte. Zum Jahreswechsel 1958/59 ist die kubanische Revolution siegreich. Batista flieht ins Exil und Fidel Castro etabliert sich als neuer Staatschef. Über Guevaras Scheitern als Nationalbankpräsident und Industrieminister, seine zunehmende Entfremdung von Castro und seine aktive Beteiligung am Aufbau der Diktatur in Kuba erfährt man in seinen Tagebüchern allerdings nichts. 1965 „flieht“ er vor der kubanischen Alltagspolitik in die Demokratische Republik Kongo, um dort einen kommunistischen Umsturz mit kubanischen Truppen zu unterstützen. Das „Kongo-Tagebuch“ macht deutlich, dass die revolutionäre Moral der dortigen Guerillakämpfer Guevaras internationalistischen Anspruch auf eine harte Probe stellt. Ernüchtert verlässt er den Kongo nach wenigen Monaten wieder.
Da er in der kubanischen Tagespolitik weiterhin keine Anknüpfungspunkte sieht, zieht er 1966 nach Bolivien weiter. Hier erlebt er den endgültigen Niedergang: Die Kommunistische Partei Boliviens unterstützt seinen Guerillakampf nicht, mit US-amerikanischer Unterstützung bekämpft die bolivianische Regierung – unter anderem mit Hilfe des Nationalsozialisten Klaus Barbie („Schlächter von Lyon“) als Berater für die Niederschlagung von Partisanen – die Revolutionäre deutlich effektiver als die Batista-Diktatur in Kuba und unter den Einheimischen findet Guevara kaum Unterstützer. Sein bolivianisches Tagebuch bricht am 7. Oktober 1967 ab. Einen Tag später wird er von bolivianischen Regierungstruppen gefangen genommen und am 9. Oktober 1967 exekutiert. Erst 1997 wird sein verscharrter Leichnam gefunden und feierlich nach Havanna überführt.
Guevaras Tagebücher sind Quellen, die auf den ersten Blick viel über Strategie und Taktik im Guerillakrieg verraten. Auf den zweiten Blick machen sie aber auch verständlich, warum und wie der Kommunismus eine derartige Wirkungsmacht entfalten konnten. Die Euphorie für das Engagement im Kampf gegen die Unterdrücker, ja sogar eine ausgeprägte Selbstopferbereitschaft des Autors werden deutlich. Gleichzeitig zeigen Guevaras Tagebücher einen starken Hang zur Utopie, während kaum konkrete Gedanken über den nachrevolutionären Zustand gefasst werden, der auch in Kuba innerhalb von kürzester Zeit in eine Diktatur mündete. Die Naivität im internationalistisch geprägten Menschenbilds Guevaras offenbart sich spätestens im Kongo. Letztlich wird er auch das Opfer seiner eigenen Unfähigkeit, kompromissorientierte Politik statt gewaltsamer Revolution betreiben zu können. Sein rigoroses Festhalten an Maximalzielen trägt sicherlich zu seinem anhaltenden Charisma bei, macht ihn aber auch zu einer Figur, die tragisch scheitert. Insbesondere in letzten Punkt zeigt Guevara in seinen Tagebüchern eine mangelnde Selbstreflektion.

Informationen über den Rezensenten:

Nikolas Dörr, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen, u.a. Die Rote Gefahr. Der italienische Eurokommunismus als sicherhspoltische Herausforderung für die USA und Westdeutschland 1969-1979, Zeithistorische Studien, Bd. 58, Böhlau: Köln, Weimar, Wien 2017. 

Bibliographische Angabe

Ernesto „Che” Guevara: The Motorcycle Diaries. Latinoamericana, Tagebuch einer Motorradreise 1951/52, Köln 2004; ders.: Kubanisches Tagebuch, Köln 2008; ders.: Der afrikanische Traum., Köln 2000; ders.: Bolivianisches Tagebuch, Köln 2008.