Rezension

Fabien Nury und Thierry Robin: The Death of Stalin

Rezensentin: Lena Jaeschke

Cover: Fabien Nury, Thierry Robin: The Death of Stalin, Bielefeld: Splitter Verlag 2018.

Wir schreiben das Jahr 1953, als der sowjetische Diktator Josef Stalin ein Konzert im Radio hört und nach einem Mitschnitt verlangt. Eine Aufzeichnung des Konzertabends gab es allerdings nicht. Aus Angst vor dem Zorn des Herrschers, wird das gesamte Konzert nochmal gespielt und nun aufgezeichnet. Als Stalin die Schallplatte empfängt, erleidet er plötzlich einen Schlaganfall und stirbt. Was wie das Ende einer Geschichte klingt, ist in Wahrheit der Anfang eines politischen Gemetzels. Die Akteure sind Georgi Malenkow, Lawrenti Beria, Nikolai Bulganin, Nikita Chruschtschow, Lasar Kaganowitsch und Anastas Mikojan - alle Teil des Zentralkomitees der KPdSU. Wer darf über die Zukunft der UdSSR entscheiden und Stalins Erbe tragen? Schnell wird klar, dass die düster gezeichneten Figuren nichts mehr im Sinn haben, als ihre eigene Machtposition auszubauen.
Die beiden Autoren Thierry Robin und Fabien Nury haben eine Geschichte erschaffen, die, trotz des Hinweises, dass die Geschichte nur inspiriert sei von Stalins Tod, sehr glaubwürdig und authentisch erscheint. Thierry Robin ist der Illustrator, der die Graphic Novel mit düsteren Figuren ausstattet. Gewalt und harsche Dialoge prägen das Bild und zeichnen eine dunkle Stimmung. Die Charakterisierung der Figuren kommt eher durch Bilder als durch Worte zustande. Seien es die namenlosen Soldaten, deren Gesichter unter der Kappe nicht zu erkennen sind, oder die Politiker selbst, denen durch fratzenartige Gesichtszüge und breites Grinsen jede List zugetraut werden kann. Im Kontrast dazu steht der weiße Schnee, der die Außenwelt bedeckt, fernab der politischen Machtspiele.
Das Begräbnis Stalins wird auf mehreren Seiten ausführlich zelebriert. Der Autor Fabien Nury ist bereits durch andere Werke wie „Ein Sohn der Sonne“ bekannt. Die Geschichte enthält einige Beschleunigungen in ihrer Erzählung, um den Rahmen der Komplexität nicht zu sprengen, damit auch Leser, die kein großes Vorwissen haben, gut in die Lektüre einsteigen können. Mehrseitige spannende Dialoge lassen den Leser die Gerissenheit und Gier nach Macht der einzelnen Politiker spüren.
Das Buch enthält weiteres „Bonus-Material“ in Form von Comics. Unveröffentlichte Bildseiten, wie die Ermordung der Romanows oder die ersten Amtshandlungen unter Stalin werden skizziert. Desweiteren werden die einzelnen Mitglieder des Politbüros porträtiert und Storyboards gezeigt. Der Historiker Jean-Jaques Marie ordnet die Handlung in einem  Nachwort in den historischen Kontext ein. Die Graphic Novel erlangte so viel Aufmerksamkeit, dass daraus die englisch-französische Polit-Satire „The Death of Stalin“ entstand. Der Film erregte bei der Premiere 2017 viel Aufsehen, da Russland die Veröffentlichung im eigenen Land verboten hatte.
Schlussendlich lässt sich sagen, dass die Graphic Novel eine spannende und zugleich fast schon absurde Geschichte erzählt, welche die Abgründe über Stalins Erbe preisgibt. Der Leser sollte ein gewisses Maß an Vorwissen haben, wird jedoch schnell in die Geschichte eingeführt und kann dann 144 Seiten lang mitfiebern. Das Medium Graphic Novel ermöglicht einen emotionalen und bildhaften Zugang zur Zeitgeschichte und zu historischen Persönlichkeiten und öffnet diese damit auch für jüngere Zielgruppen. Lange Verhandlungen um Macht und Kontrolle über die Sowjetunion stehen im Gegensatz zu schnellen Exekutionen, um einen weiteren Schritt in Richtung Herrschaft zu machen. Was bleibt, sind Angst und gegenseitiges Misstrauen. Jeder ist sich selbst der nächste. Mit seinem abruptem Ende lässt das Buch einige unbeantwortete Fragen zurück, sowohl historischer, als auch moralischer Art.

Informationen über die Rezensentin:

Lena Jaeschke, geboren 1999, arbeitet bei der Bundesstiftung Aufarbeitung und leistet ein FSJ im Politischen Leben.

Bibliografische Angabe

Fabien Nury, Thierry Robin: The Death of Stalin, Bielefeld: Splitter Verlag 2018.