Frank Drauschke, Anna Kaminsky und Arsenij Roginskij (Hrsg.): „Erschossen in Moskau ...“ Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953
„Ich, Hans Pietschmann, geb. 11.1.22, verheiratet, 2 Kinder, von Beruf Bäckermeister, bin am 23.11.1951 vom Sowjetischen Militärtribunal wegen Spionage zum Tode verurteilt worden. Ich bitte das Präsidium des Obersten Sowjet um Umwandlung dieses Urteiles in eine Freiheitsstrafe.“ (Roginskij et al., S. 107.) Dieses Gnadengesuch richtete der in Hammerstadt bei Rietschen wohnhafte Hans Pietschmann an das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR. Der gelernte Bäcker war 1950 wegen seiner Militärlaufbahn während des Zweiten Weltkrieges zum Dienst in der Volkspolizei gezwungen worden und soll einem Residenten des US-Geheimdienstes in Westberlin mehrere Berichte zur VP übergeben haben. Nach seiner Verhaftung hatte ihn das Sowjetische Militärtribunal Nr. 48240 wegen Spionage gegen die Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland zum Tode durch Erschießen verurteilt. Pietschmanns Appell um Gnade verhallte ungehört. Der 30-Jährige wurde mit einem geheimen Transport nach Moskau verbracht und am 22. Februar 1952 im Butyrka-Gefängnis erschossen. Noch in derselben Nacht wurde seine Leiche im Krematorium auf dem Friedhof Donskoje verbrannt, die Asche in einem Massengrab bestattet. Seine Verwandten erhielten Jahre später eine Todesnachricht, allerdings ohne Angabe der Todesursache. Die wahren Umstände sollten erst fünf Jahrzehnte später ans Licht kommen. Hans Pietschmann war einer von rund tausend Deutschen, die von sowjetischen Militärtribunalen in der DDR von 1950 bis 1953 wegen angeblicher Spionage und antisowjetischer Agitation zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet wurden. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt gelang es „Memorial“ Moskau, Facts & Files und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vor rund zehn Jahren, bis dahin unbekannte Dokumente über die Verurteilungen aufzufinden und auszuwerten. Mehrere wissenschaftliche Beiträge des Bandes ermöglichen einen präzisen Einblick in die sowjetische Militärjustiz in der SBZ/DDR von 1945 bis 1955, das Schicksal der Erschossenen in ihrer letzten Lebensphase und die verzweifelte Suche der Angehörigen. Kurzbiografien, denen teilweise Fotos aus den Gerichtsakten beigefügt sind, dokumentieren das Leben und den gewaltsamen Tod dieser Frauen und Männer. Das in mehreren Auflagen erschienene Buch gibt den Hingerichteten ihren Namen und ihr Gesicht zurück. Es ist zugleich Nachschlagewerk, Totenbuch und wissenschaftlicher Studienband. Wer sich mit der DDR in der späten Stalinzeit beschäftigt, sollte dieses Werk zur Kenntnis nehmen.
Informationen über die Rezensentin:
Doz. Dr. Barbara Stelzl-Marx, geb. 1971 in Graz, Zeithistorikerin, stv. Institutsleiterin des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Graz – Wien – Raabs, Vizepräsidentin der Österreichischen UNESCO-Kommission. 2010 Habilitation im Fach „Zeitgeschichte“. Zahlreiche Publikationen, u. a.: darunter die preisgekrönte Habilitation „Stalins Soldaten in Österreich“ (Böhlau 2012).
Bibliografische Angabe
Arsenij Roginskij, Frank Drauschke und Anna Kaminsky (Hrsg.): „Erschossen in Moskau ...“ Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953, Berlin: Metropol 2008.