Rezension

Franz Borkenau: Der europäische Kommunismus. Seine Geschichte von 1917 bis zur Gegenwart

Rezensent: Vaios Kalogrias

Cover von Franz Borkenau: Der europäische Kommunismus. Seine Geschichte von 1917 bis zur Gegenwart, München: Leo Lehnen Verlag 1952.

Als ich mich während meines Geschichtsstudiums an der Universität Karlsruhe entschied, eine Seminararbeit über die Entwicklung der bürgerlichen Résistance-Gruppen während der deutschen Besatzungszeit in Griechenland (1941-1944) zu verfassen, machte ich mich auf die Suche nach deutschsprachiger Literatur, die man damals an den Fingern einer Hand abzählen konnte. Griechische Literatur gab es zwar reichlich, doch aus finanziellen Gründen war es mir nicht möglich, viele Titel aus Griechenland zu bestellen. So wurde ich irgendwann auf das Buch des österreichischen „Renegaten“ Franz Borkenau aufmerksam. Im entsprechenden Kapitel seiner Geschichte des europäischen Kommunismus beschrieb er die Entwicklung der „Kommunistischen Partei Griechenlands“ (KKE) und das gewaltsame Vorgehen der von ihr mitgegründeten „Griechischen Volksbefreiungsarmee“ (ELAS) gegen das bürgerliche Widerstandslager. In Borkenaus knappen Ausführungen sah ich zunächst einige meiner Überlegungen über die Motive des „roten Terrors“ gegen die „Konterrevolution“ bestätigt. Je mehr ich allerdings in seinen „südosteuropäischen“ Kapiteln las, um mögliche Vergleiche mit dem griechischen Fall zu ziehen, desto klarer wurde mir der internationale Aspekt des kommunistischen Phänomens, das, um es bildlich darzustellen, einer Sonne (Moskau) mit den um sie drehenden Planeten (die Kommunistischen Parteien Europas) glich. Was ist das Besondere an Borkenaus Buch? Eine gewisse Faszination geht sicherlich von der Tatsache aus, dass er ein „Insider“ war, jemand, der die „Irrungen und Wirrungen“ der kommunistischen Bewegung mitgemacht und von innen her kennengelernt hatte. Hier schreibt einer, der im Auftrag der Komintern gestanden und wichtige kommunistische Persönlichkeiten persönlich gekannt hat. Damit verfügte er über ein unschätzbares Wissen über Interna und Strukturen der kommunistischen Parteien, das es Borkenau zu so einem frühen Zeitpunkt erlaubte, eine Gesamtschilderung des europäischen Kommunismus zu bieten. Der polemische antikommunistische Ton seiner Schrift, ist dem heutigen Leser wahrscheinlich schwer zu vermitteln. Doch Borkenau ging es um das Verstehen eines mächtigen „Feindes“, der bestehende Institutionen und Traditionen beseitigen wollte, und nicht um das Verfassen einer streng wissenschaftlichen Abhandlung. In dem Buch rechnete er mit den „Gespenstern“ seiner Vergangenheit ab und mahnte vor den Gefahren einer totalitären Herrschaft.

Informationen über den Rezensenten:


Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Historischen Seminar der Johannes Gutenberg Universität-Mainz.

Bibliografische Angabe

Franz Borkenau: Der europäische Kommunismus. Seine Geschichte von 1917 bis zur Gegenwart, München: Leo Lehnen Verlag 1952.