Rezension

Hermann und Kate Field: Departure Delayed. Stalins Geisel im Kalten Krieg

Rezensent: Ulrich Mählert

Buchcover von Hermann und Kate Field: Departure Delayed. Stalins Geisel im Kalten Krieg

Europa im Sommer 1949. Die Augusthitze lässt manchen den Eishauch des Kalten Krieges, der die Welt in seinem Bann hält, für einen Moment vergessen. Es herrscht Ruhe vor dem Sturm. Nur wenige verweigern sich dem neuen Feindbild. Zu ihnen zählt die kleine Internationale der antifaschistischen Linken, die der gemeinsame Kampf gegen den Nationalsozialismus über alle Ländergrenzen hinweg vereint hatte. Nach Kräften versucht sie, zumindest persönliche Beziehungen über den „Eisernen Vorhang“ hinweg aufrecht zu erhalten. Doch Washington und Moskau haben sich längst für die einfachste der möglichen Nachkriegsordnungen entschieden: Eine vom Kalten Krieg geteilte Welt würde nicht nur auf beiden Seiten das politische System konservieren, sondern auch die Führungsrollen der Sowjetunion und der USA in ihren Hemisphären legitimieren. Hier wie dort werden jene, die einen „Dritten Weg“ propagieren, zu Staatsfeinden erklärt. Eine heute absurd anmutende Unterwanderungshysterie verspritzt in Ost und West ihr Gift. In den Vereinigten Staaten zerstören McCarthys Tribunale nicht nur Existenzen, sondern auch für viele Jahre die demokratische Kultur. Doch gemessen am Terror, der ab Herbst 1949 Osteuropa erschüttern sollte, würden Vergleiche nur verharmlosend wirken...
Am Vorabend dieser großen Hexenjagd reist der amerikanische Architekt Hermann Field hinter den Eisernen Vorhang. Er ist auf der Suche nach seinem älteren Bruder Noel, der sich im Frühjahr 1949 zum letzten Mal aus der Tschechoslowakei gemeldet hatte. Der Architekt ist zuversichtlich, dessen mysteriöses Verschwinden ohne Unterstützung amerikanischer Stellen aufzuklären. Sein Bruder ist schließlich in führenden kommunistischen Parteikreisen Osteuropas kein Unbekannter. Als Vertreter einer amerikanischen Hilfsorganisation in Europa hatte er während des Krieges prominenten kommunistischen Flüchtlingen das Leben gerettet. Aufgrund seiner unverhohlenen kommunistischen Sympathien verdächtigte man ihn in den USA mittlerweile, ein sowjetischer Agent zu sein.
Auch Hermann Field hatte kurz vor Kriegsausbruch mitgeholfen, gefährdete tschechoslowakische Kommunisten über Polen nach Großbritannien zu bringen. Mit Hilfe der alten Verbindungen würde es ein leichtes sein, das Schicksal des Verschwundenen zu klären. Doch da widerfährt ihm bei einem Zwischenstop in Warschau das Unfassbare. Ohne Angabe von Gründen wird er von polnischen Sicherheitsleuten verhaftet.
Mit der Schilderung dieser Verhaftung beginnt eine bemerkenswerte Autobiographie. Sie gibt auf über fünfhundert Seiten einen bewegenden Einblick in die längst vergessene Tragödie einer Familie, die zum Mittelpunkt einer kafkaesk anmutenden Verschwörungsphantasie wurde. Es handelt sich um die Geschichte der amerikanischen Quäkerfamilie Field, von der in den Jahren 1949/50 zunächst Noel, schließlich fast zeitgleich seine Frau Herta sowie sein Bruder Hermann und später die Pflegetochter Erica für viele Jahre spurlos hinter dem Eisernen Vorhang verschwanden. Angebliche Geständnisse Noel und Hermann Fields, als amerikanische Superagenten einen Teil der späteren Führungsriege der „volksdemokratischen“ Staaten für den CIA angeworben zu haben, dienten in Ungarn, Bulgarien und in der Tschechoslowakei zur Begründung spektakulärer Schauprozesse.
Das Buch schildert die Ereignisse aus der Perspektive von Hermann und dessen Frau Kate Field. Den größten Raum nimmt darin die Beschreibung der Haftzeit Hermann Fields ein. In Zwischenkapiteln berichtet Kate über ihre ebenso verzweifelten wie vergeblichen Bemühungen, von England aus etwas über das Schicksal ihres Mannes zu erfahren. Schritt für Schritt wird der Leser darüber hinaus mit den historischen Rahmenbedingungen vertraut gemacht. Auf diese Weise entsteht ein dichtes Bild des Stalinismus, in dem die Menschlichkeit ebenso suspendiert war wie die Gesetze der Logik. Eindringlich - doch ohne Bitterkeit und Hass - entwirft Field ein schonungsloses Psychodrama seiner Haftjahre. Die Bedeutung des Buches liegt weniger in dem begründet, was es an neuen Einzelheiten über die Field-Affäre an den Tag bringt. Es sind vielmehr die detaillierte Schilderung der Isolationshaft, der nächtlichen Verhören, des subtilen Zusammenwirkens von Zuckerbrot und Peitsche auf die Psyche des Gefangenen sowie die Dokumentation der Haftbedingungen, die das Buch zu einem wichtigen Zeitdokument werden lassen. Darüber hinaus ist es die spannend geschriebene Geschichte eines Mannes, dem es unter den widrigsten Bedingungen gelungen ist, seine Würde und Selbstachtung zu behaupten.
Hermann Field beschreibt, wie seine anfängliche Hoffnung, die ganze Verhaftung sei ein Irrtum, langsam schierer Verzweiflung wich. Die Isolationsfolter, der Entzug jeder intellektueller Stimulanz, die völlige Untätigkeit, das Gefühl lebendig begraben zu sein, all dies führte dazu, dass der Häftling schließlich den Beginn der Verhöre als Erleichterung empfand. Nach wochenlangen Befragungen war Field schließlich beinahe bereit, die angebliche Agententätigkeit zu gestehen. Einzig ein Geständnis versprach den Kreislauf der Verhöre und der Einsamkeit zu durchbrechen. Doch in letzter Minute verweigerte er das erwartete Bekenntnis.
In immer neuen Verhören wiederholte er gebetsmühlenartig jedes Detail über seine Arbeit im vorangegangenen Jahrzehnt und alle Personen, die in dieser Zeit seinen Weg gekreuzt hatten. Kurz vor Jahresende brachen die Befragungen abrupt ab. Was Hermann Field nicht wissen konnte: Mittlerweile hatte in Sofia der Schauprozess gegen Kostow und in Budapest gegen Rajk und Genossen stattgefunden. Der halsstarrige Field hatte nicht „rechtzeitig“ gestanden und somit vorerst an Bedeutung verloren. Im Leben des Häftlings trat kurz vor Weihnachten eine grundsätzliche Wendung ein. Nach monatelanger Einzelhaft teilte er fortan für viele Jahre seine Zelle mit Stanislaw, einem polnischen Intellektuellen. Die beiden hätten unterschiedlicher nicht sein können: „Stanislaw war katholisch, konservativ, antikommunistisch, geprägt von der lateinischen Kultur und von lebhaftem slawischen Temperament. Stütze seines Lebens war der Glaube, von einem an Aberglaube grenzenden Mystizismus durchzogen. Den Katastrophen, deren Opfer er, wie sein Land, geworden war, begegnete er mit einem ausgeprägten Sinn für Freunde und für die Kraft des Augenblicks.
Ich selbst war aufgewachsen in der Quäker-Welt des Dienens, der Vorherrschaft des Willens über das Vergnügen, der Vernunft über den Glauben, des Vertrauens in den Fortschritt und an das Gute im Menschen, der Vision einer Welt ohne Gewalt und mit gleichen Chancen für alle.“ Doch trotz oder vielleicht gerade aufgrund ihrer Verschiedenheit gab sich das ungleiche Paar in den folgenden Jahren den nötigen Halt, um die Haftzeit zu überstehen. Der Weg bis zur Freilassung 1954 sollte dornenreich sein. Zweimal sah Field, der durch Hungerstreiks die Haftbedingungen zu verbessern und eine Entscheidung in seinem Fall zu beschleunigen trachtete, dem Tod ins Auge. Trotzdem vermochte er es selbst im polnischen Kerker, von seinem eigenen Schicksal zu abstrahieren: „Konnte ich es mir ... auf Grund meiner persönlichen Leiden und als unmittelbarer Zeuge der fürchterlichen Fehler der kommunistischen Herrschaft erlauben, ein unkritischer kapitalistischer Ja-Sager und fanatischer Kämpfer wider die Roten zu werden? Wenn ich den wahren Übeltäter, die in uns allen vorhandene menschliche Schwäche, in Betracht zog, war das wohl keine vernunftgemäße Antwort.“ Und so war er nach seiner Freilassung und materiellen Entschädigung durch die polnische Regierung auch bemüht, sich propagandistischen Vereinnahmungsversuchen im Westen zu verweigern. Das Leben von Hermann und Kate Field dokumentiert damit auch eine intellektuelle Standhaftigkeit, sich allen persönlichen Schicksalsschlägen zum Trotz, nicht vom Schwarzweißdenken des Kalten Krieges vereinnahmen zu lassen.

Informationen über den Rezensenten:

Dr. Ulrich Mählert, Studium der Politischen Wissenschaft, Anglistik und Germanistik an der Universität Mannheim, 1994 Promotion bei Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Weber, Mitarbeit bei verschiedenen Projekten zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der SED-Diktatur. Seit 1999 Leiter des Arbeitsbereichs Wissenschaft / Internationale Zusammenarbeit bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Bibliografische Angabe

Hermann und Kate Field: Departure Delayed. Stalins Geisel im Kalten Krieg. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jobst-Christian Rojahn, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1996.