Rezension

Hermann Weber: „Weiße Flecken“ in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung

Rezensent: Helmut Müller-Enbergs

Cover von Hermann Weber: „Weiße Flecken“ in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, Berlin: LinksDruck 1990

Wie ein genetischer Faden durchziehen die Geschichte des deutschen Kommunismus „weiße Flecken“, Kommunisten also, deren Biografien und teils sogar deren Leben von der Partei aus ihrem kollektiven Gedächtnis ausgelöscht wurden. Dieses brisante Thema fasste der Mannheimer Historiker Hermann Weber an, dessen Buch im Frühjahr 1989 zuerst in Frankfurt am Main, dann 1990 in Ost-Berlin im Ch. Links Verlag erschien. Es geht Weber dabei wesentlich um die Stalinschen Säuberungen deutscher Kommunisten in der Sowjetunion in den 1930er-Jahren. Er ermittelte 305 ermordete und verschollene deutsche Kommunisten sowie 40 in der Sowjetunion verhaftete, die es geschafft hatten, zu überleben. Erschossen wurde beispielsweise Hans Kippenberger, langjähriger Kandidat des Zentralkomitees der KPD und Leiter des parteieigenen Nachrichtendienstes. Überlebt hatte Susanne Leonhard, die bereits dem Spartakus angehört hat, in die Sowjetunion emigrierte, von 1936 an bis 1948 verhaftet und in Arbeitslagern war. 1949 floh sie aus der DDR in die Bundesrepublik. Im Ergebnis zeigte sich für Weber, dass von den 43 Spitzenfunktionären der KPD „mehr Personen der Stalinschen Säuberung zum Opfer [fielen] als dem Terror Hitlers“.
Die Staatspartei in der DDR wie auch ihr Ableger in West-Berlin und in der Bundesrepublik reagierten empört auf Webers Buch. Der Parteiideologe in der DDR, Kurt Hager, befand, es bestehe „kein Grund, eine Suche nach ‚weißen Flecken‘ zu unternehmen,“ zitiert Weber. Mit der Herbstrevolution wechselte die Optik. Nunmehr hielt das „Neue Deutschland“ im März 1990 fest, dass „der Vorwurf Webers und anderer ins Schwarze trifft, dass gerade jene, die sich als Testamentsvollstrecker des Kampfes deutscher Kommunisten verstanden und sich daher auch diesem düsteren Kapitel in der Geschichte ihrer Bewegung mit aller Konsequenz hätten stellen müssen, es nicht taten.“ Und selbst im orthodox-kommunistischen Lager hieß es nun, dass „die vergessenen Opfer des Stalinismus vor allem Aufgabe der deutschen kommunistischen Parteien gewesen wäre und sie in diesem Punkt auf breitem Feld kläglich versagt haben.“ Es ist Webers Verdienst, nicht allein ein Tabu durchbrochen zu haben, sondern auch mit seinem Buch den Impuls gesetzt zu haben für die Arbeitsgruppe „Opfer des Stalinismus“, die in Recherchen über 1 100 unter Stalin verfolgter deutscher Kommunisten ermittelt hat. Mithin war auch in dieser Frage des deutschen Kommunismus Hermann Weber seiner Zeit voraus.

Informationen über den Rezensenten:

Helmut Müller-Enbergs, Dr. phil., Adj.-Prof. am Institut für Geschichte der Syddansk Universitet in Odense (Dänemark).

 

Bibliografische Angabe

Hermann Weber: „Weiße Flecken“ in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, Berlin: LinksDruck 1990.