Rezension

Orlando Figes: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne. Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors

Rezensent: Dieter Dowe

Cover von Orlando Figes: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne. Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors. Aus dem Englischen und Russischen von Bernd Rullkötter, München:  Hanser Verlag, 2012.

„Du und ich sind wie ein Gebirg aus Gram / Und können uns auf dieser Welt nicht wiedersehn, / Doch bitte schick um Mitternacht mir / Einen Gruß zuweilen durch die Sterne.“ Anna Achmatowas Gedicht „Im Traum“ (1946) ist das Motto des Buches, in dem Orlando Figes auf der Basis eines einmalig dichten, im Moskauer Archiv von Memorial aufbewahrten Briefwechsels in einer Mischung aus Dokumentation und geradezu romanhafter Darstellung die Geschichte von Lew Mischtschenko und Swetlana Iwanowa schildert. Damit hat er für die Nachwelt eine der ergreifendsten, glücklich endenden Liebesgeschichten des 20. Jahrhunderts bewahrt, die zugleich das Leben im Moskau der Nachkriegszeit und das Überleben im Gulag zu Zeiten Stalins widerspiegelt. Deutlich wird auch, dass der Gulag nicht mit den nationalsozialistischen Konzentrationslagern zu vergleichen ist. Im Mittelpunkt des Buches stehen über 1200 Briefe, die sich Lew und Swetlana in den achteinhalb Jahren von Lews Arbeitslagerhaft im berüchtigten Petschora (südlich von Workuta) geschrieben haben. Wohlmeinende Mitmenschen haben die Zeugnisse ins Lager hinein und aus ihm heraus geschmuggelt. Zum großen Teil unzensiert, ist die Korrespondenz von einer Authentizität, die ihresgleichen sucht. Dass sie überhaupt fast lückenlos erhalten sind, ist der Unerschrockenheit der beiden Liebenden zu verdanken, die furchtlos allen Bedrohungen widerstanden. Swetlana gelingt es sogar mehrmals, ihren Lew kurzzeitig zu treffen. Lews Briefe informieren über die Lebensbedingungen in Petschora, die Beziehungen der Häftlinge untereinander und zu der Lagerverwaltung, das Menschliche und allzu Menschliche. Lew teilt mit Sweta nicht nur seine eigenen Gedanken und Empfindungen, sondern auch die seiner Mithäftlinge, und lässt sie so auch an deren innerem Leben teilhaben. Sweta lässt den Geliebten ihren „normalen“ Alltag miterleben, als wäre er nur kurz abwesend: Arbeit und Studien, materielle Sorgen und mentale Probleme, Freizeitbeschäftigungen im Nachkriegs-Moskau. Selten findet man ein Buch, das in so eindringlicher, oft (zu Tränen) rührender Weise die Gefühls- und Gedankenwelt zweier Menschen mit der Schilderung sozialhistorischer Gegebenheiten verbindet. Es ist unbedingt zu empfehlen!

Informationen über den Rezensenten:

Prof. Dr. Dieter Dowe, St. Augustin/Braunschweig bis 2008 Leiter des Historischen Forschungszentrums der Friedrich-Ebert-Stiftung und Mitglied des wiss. Beirats der Stiftung Aufarbeitung.

Bibliografische Angabe

Orlando Figes: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne. Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors, aus dem Englischen und Russischen von Bernd Rullkötter, München: Hanser Verlag 2012.