Rezension

Wolf-Dietrich Gutjahr: Revolution muss sein. Karl Radek – Die Biographie

Rezensent: Hannes Schwenger

Cover von Wolf-Dietrich Gutjahr: Revolution muss sein. Karl Radek – Die Biographie, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2012.

WARTEN AUF DIE WELTREVOLUTION

Er habe als Kommunist „eine Lebensstellung: Warten auf die Weltrevolution“, war ein gern zitiertes Aperçu Karl Radeks, des Vertrauten Lenins, Freund und Verräter Trotzkis, Herold von Stalins Personenkult und dessen letztes Opfer unter den Altbolschewiken. Aus der Lebensstellung wurde ein Todesurteil, aus Karl Radek eine Unperson. Gutjahrs Biografie holt seine Person ins Gedächtnis der Kommunismusgeschichte zurück.
In Deutschland kannte man ihn als Lenins Emissär zum Gründungsparteitag der KPD, deren Politik er zeitweise mitbestimmte. Berühmt-berüchtigt wurde seine „Schlageter-Rede“, die der Weimarer Rechten Avancen machte und damit spätere Übereinkünfte mit den Nazis wie den Berliner Verkehrsstreik 1932 vorwegnahm. Nachdem er zeitweise als „Rechtsabweichler“ in Ungnade war und in Moskau bei Stalin zu Kreuze kroch, wurde er erst Stalins treuester Vasall und dann Kronzeuge in den Moskauer Prozessen. Für seinen Biografen ist er Idealtyp des ideologisch geprägten Schreibtischtäters, der die Opfer seines Wirkens als „historische Notwendigkeit“ in Kauf nahm und schließlich selbst zum Opfer wurde.
An seinem grausamen Zynismus gibt es so wenig Zweifel wie an seinem grausamen Ende im Gefängnis, wo er im Mai 1939 auf Weisung Berijas von einem gedungenen Mörder des NKWD erschlagen wurde. Berijas Stellvertreter Kobulov bezeugte, „dass Stalin von der Operation gewusst“ und „auf tadelloser Durchführung“ bestanden habe. So tadellos, dass Radek 1988 postum rehabilitiert wurde, obwohl er im Prozess gegen seine früheren Genossen mit Falschaussagen aufgetreten war und schon zuvor in Schauprozessen gegen die Sozialrevolutionäre zur physischen Vernichtung der Angeklagten gehetzt hatte. Das Moskauer Terrorurteil gegen ihn ist zwar nachträglich aufgehoben worden, aber das Urteil des Historikers kann ihn als Terrorgehilfen Stalins nicht freisprechen. Nur Stefan Heym hat für den Protagonisten seines biografischen Romans mildernde Umstände als „Idealbild eines Revolutionärs“ gefunden.
Das sei, moniert Gutjahr zu recht, „kritisch zu hinterfragen“. Das besorgt er gewissenhaft, wenn er Radeks Laufbahn nachzeichnet. Radek wurde als Karol Sobelsohn im polnischen Galizien 1885 geboren, war in der SPD bis zur Parteispaltung aktiv, kehrte mit Lenin 1917 aus der Schweiz zurück und wurde sein Deutschlandemissär, Kominternsekretär und später Stalins außenpolitischer Berater. Auch als Publizist war Radek für die sozialistische und kommunistische Sache von Bedeutung: In Deutschland mit der Veröffentlichung „Der deutsche Imperialismus und die Arbeiterklasse“, in Rußland als Parteijournalist und zuletzt Außenressortchef von Stalins „Iswestija“. Zeitweise zum Direktor der Internationalen Sun-Yatsen-Universität „degradiert“, zählte er unter seinen Studenten auch Ho Chi Minh und Deng Xiao Ping.
Bei seiner Verhaftung 1936 soll er erbittert geäußert haben: „Nach all dem, was ich für Stalin getan habe!“
Er hatte 1934 mit seinem „Prawda“-Artikel „Der Baumeister der sozialistischen Gesellschaft“ die Schablone für den Personenkult um Stalin geliefert. Als Hauptredner auf dem 1. Sowjetischen Schriftstellerkongress proklamierte er die Literatur als Waffe im Klassenkampf. „Unser Weg führt nicht über Joyce, sondern über die breite Straße des sozialistischen Realismus.“ Der polnische Jude und sowjetische Atheist wusste nicht, wohin der breite Weg nach einem christlichen Gleichnis bekanntlich führt: in die Hölle.

Informationen über den Rezensenten:


Hannes Schwenger, Dr. phil., Literaturwissenschaftler, Publizist und Schriftsteller. Zahlreiche Veröffentlichungen und Herausgaben, u. a.: Die polnische Teilung des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS). In Selbstzeugnissen, Dokumenten, Briefen und im Zerrspiegel der MfS-Akten / Forschungsverbund SED-Staat. Zst.: Hannes Schwenger, Red.: Martin Jander, Berlin 1999.

Bibliografische Angabe

Wolf-Dietrich Gutjahr: Revolution muss sein. Karl Radek – Die Biographie, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2012.