x

In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Gruntorád, Jiří

* 1952




Jiří Gruntorád wurde 1952 in Prag geboren. Er lernte an einer Forstwirtschaftsschule im mittelböhmischen Třebenice bei Sedlčany. 1969 wurde er kurz vor seinem Abschluss wegen Kritik an Nachrichtensendungen des tschechoslowakischen Staatsfernsehens relegiert und arbeitete fortan als Holzfäller, Straßenbahnfahrer, Lagerarbeiter und Maurer. Zur Dissidentenbewegung stieß er während der Kampagne gegen die *Charta 77. 1978 lernte er Václav Benda kennen. Gruntorád schrieb die Zeitschrift „Informace o Chartě 77 (INFOCH)“ (Informationen über die Charta 77) und andere Samisdat-Publikationen ab, was der Staatssicherheit bis dahin verborgen geblieben war. Als die Polizei seine Wohnung auf der Suche nach einer Waffe durchsuchte – die sie jedoch nicht finden konnte –, beschlagnahmte sie stattdessen eine größere Zahl an verbotenen Publikationen. Gruntorád wurde verhaftet und am 8. November 1979 in einem inszenierten Prozess ohne jegliche Beweise zu drei Monaten Freiheitsentzug wegen „unerlaubten Besitzes einer Feuerwaffe“ verurteilt.

Nach der Rückkehr aus der Haft in Pilsen (Plzeň) unterzeichnete Gruntorád die Erklärung der *Charta 77. Er schrieb Samisdat-Veröffentlichungen ab und verbreitete sie. In der Reihe „Popelnice“ (Mülleimer) gab er unter anderem Bücher von Egon Bondy, das Pseudonym von Zbyněk Fišer, Bohumil Hrabal, Jaroslav Seifert und die ersten Werke von Vlastimil Třešňák und Jaroslav Hutka heraus. Im Dezember 1980 wurde Gruntorád erneut inhaftiert und im Juli 1981 zu vier Jahren Haft wegen einer Straftat verurteilt, die laut der Urteilsbegründung „hauptsächlich“ darin bestanden habe, „Publikationen vervielfältigt und verbreitet zu haben, welche die Situation in der ČSSR, die führende Rolle der KPČ, das staatliche Handeln und den sozialistischen Charakter der Republik verhöhnen und herabwürdigen, sowie von ausländischen Diensten herausgegebene Schriften mit dem Ziel der Verbreitung zu sammeln, um dadurch die sozialistische Ordnung der ČSSR zu schwächen und zu zersetzen.“ Als einer der ersten Dissidenten wurde Gruntorád außerdem zu drei Jahren so genannter „Sicherheitsaufsicht“ verurteilt, während der er verpflichtet war, sich täglich auf einer Polizeiwache zu melden. Den ersten Teil der Haft verbrachte er in einem wegen seiner schlechten Haftbedingungen berüchtigten Gefängnis Minkovice in Nordböhmen. Nach zwei Jahren wurde Gruntorád in das Gefängnis nach Valdice verlegt, wo auch der Poet Ivan Martin Jirous inhaftiert war. Die Gedichtsammlung „Magors Schwanengesänge“ (Magorovy labutí písně), die Jirous in Haft geschrieben hatte, schmuggelte Jiří Gruntorád Ende 1984 aus dem Gefängnis heraus und veröffentlichte sie sofort im Samisdat.

Trotz dreijähriger „Sicherheitsaufsicht“ setzte Gruntorád die Herausgabe der Reihe „Popelnice“ fort, um die sich Oleg Hejnyš während Gruntoráds Haft gekümmert hatte. Bis Ende 1989 wurden in dieser Reihe etwa 130 Titel herausgegeben und jeder in 12 bis 15 Exemplaren abgeschrieben. Ab Herbst 1988 beteiligte sich Jiří Gruntorád auch an den Arbeiten der „Initiative zur gesellschaftlichen Verteidigung“, der *Bewegung für Bürgerfreiheit (Hnutí za občanskou svobodu; HOS) sowie des Solidaritätskomitees für Ivan Polanski. Während dieser Zeit ging Gruntorád verschiedenen Beschäftigungen nach: Er war Maurer, Magazinarbeiter und bis 1991 Heizer.

Nach der *Samtenen Revolution erhielt Jiří Gruntorád seine konfiszierten Bücher und Samisdat-Zeitschriften sowie das Archiv des *Komitees zur Verteidigung der zu Unrecht Verfolgten (Výbor na obranu nespravedlivě stíhaných; VONS) zurück. Dies ermöglichte ihm die Gründung eines Archivs für Samisdat-Publikationen: Im Oktober wurde „Libri prohibiti“ feierlich in Prag eröffnet. Zwischen 1991 und 1994 war Gruntorád Sekretär des *Komitees zur Verteidigung der zu Unrecht Verfolgten, zwischen 1993 und 1999 arbeitete er zudem als Archivar in der *Behörde für die Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus (Úřad dokumentace a vyšetřování zločinů komunismu; ÚDV), das bei der Polizei der Tschechischen Republik angesiedelt war. Seit 1999 ist er Leiter des Archivs „Libri prohibiti“, das Samisdat aus der Tschechoslowakei und anderen sozialistischen Staaten sowie Exilpublikationen und Archivmaterialien der Jahre 1945–1989 sammelt.


Luboš Veselý
Aus dem Polnischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 06/15

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.