JHK 1993

Inhaltsverzeichnis

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Einige Aspekte der stalinistischen "Säuberungen" in der russischen Provinz

Kees N. Boterbloem. (Montreal)

Die Erforschung der sowjetischen Geschichte stieß lange Zeit auf zahlreiche Probleme, weil im Westen nur wenige Quellen zugänglich waren. Während man über den Zeitraum bis 1929 und über die Verbannung von Leo Trotzki zahlreiche Archivalien einsehen konnte, waren zur Periode der Kollektivierung und Industrialisierung nur sehr wenige Dokumente zugänglich. In diesem Zusammenhang stellte nur das Archiv der Provinz von Smolensk - trotz des lückenhaften Aktenbestandes - eine Ausnahme dar.2 Aber man…

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Das Internationale Kolonialbüro der Komintern in Paris

Mustafa Haikal (Leipzig)

Am 30. Januar 1925 verhaftete die französische Polizei in Paris den Inder Manabendra Nath Roy. Auf Anordnung des Innenministers wurde er ohne Begründung nach Luxemburg abgeschoben. Roy hatte sich seit Juli 1924 in Paris aufgehalten. Ob die Ausweisung, wie der Inder in mehreren Protestbriefen mutmaßte, auf Druck der britischen Regierung erfolgte, ist nicht bekannt. Auch ohnedies gab es für die fanzösischen Behörden Gründe, der Beteuerung Roys, er habe sich niemals in die inneren Angelegenheiten…

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Die Instrumentalisierung des Marxismus-Leninismus

Hermann Weber (Mannheim)

In den kommunistisch regierten Staaten galt der Marxismus-Leninismus als "herrschende Ideologie". Nach offizieller Lesart stützten sich nicht nur Konzeptionen und Strategien, sondern die gesamte Politik der Kommunisten auf den Marxismus-Leninismus. Auch die Umgestaltung der Gesellschaft wurde in dieser Sicht als "Anwendung" des Marxismus interpretiert. Programmatisches Ziel kommunistischer Parteien war in ihrer Selbstdarstellung eine Gesellschaft der Gleichheit und sozialen Gerechtigkeit…

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Blutige Vergangenheit*

Alexandr N. Jakowlew (Moskau)

Es gibt Wunden, die nicht vernarben. Mal fließt das Blut in Strömen, mal sickert es nur aus den Wunden und vermischt sich mit den Tränen. Bald sind die Wunden wieder offen, nässen sie auf dem Leib, schmerzen sie in den leidenden Seelen und im Gedächtnis. Die Zeit heilt diese Wunden nicht. Denn je weiter wir uns von jenen verdammten Jahren entfernen, desto lauter wird der Ruf des unerbittlichen Gedächtnisses.Die Frage ist ihrem Wesen nach gleichzeitig einfach und abscheulich: Wie konnte es…

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Konferenz zur Geschichte des "Kalten Krieges" vom 12. bis 15. Januar 1993 in Moskau

Lidija Miljakowa (Moskau)

Zu dem Thema Geschichte des "Kalten Krieg" führten vom 12. bis 15. Januar 1993 das Moskauer Institut für allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaf­ ten, das Moskauer Zentrum für die Aufbewahrung zeitgenössischer Dokumente (Leitung R. Ussikow) und das Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington D.C. als Initiatoren und Träger des Cold War International History Project eine gemein­ same wissenschaftliche Konferenz in Moskau durch.In seinem Einleitungsreferat…

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Zur Einführung

Die Herausgeber

Die revolutionären Umbrüche in Mittel-, Ost- und Südosteuropa 1989/90 und der durch sie eingeleitete Kollaps der kommunistischen Regime im Herrschaftsbereich der ehemaligen Sowjetunion markieren nach 1917 und 1945 eine der weltpolitisch und historisch wichtigsten Zäsuren des 20. Jahrhunderts. Dies gibt besonderen Anlaß, einen kritischen Blick auf die Vergangenheit kommunistischer Herrschaft und ihre Hauptträgerinnen, die "Parteien neuen Typs", zu werfen.Wesentliche Momente ihrer Geschichte und…

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Die Russische Delegation in der Komintern: Machtzentrum des internationalen Kommunismus zwischen Sinowjew und Stalin1

Alexandr Watlin (Moskau)

Daß die KPdSU als die einzige siegreiche, zur Staatsmacht gewordenen Partei in der Kommunistischen Internationale (Komintern) stets eine besondere Rolle spielte und praktisch alle strategischen Wendungen und Kadersäuberungen präjudizierte, ist für die internationale Kommunismusforschung kein Geheimnis. Gleichwohl traten die eigentlichen Umsetzungsmechanismen dieser Machtposition zugunsten der statutgemäßen Organisationen und Ereignisse in den Hintergrund. Heute gehört der dokumentarische Nachlaß…

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Die Generation der "Bolschewisierer" in der Kommunistischen Partei Griechenlands (KPG)

Panagiotis Noutsos (loannina)

Auf dem dritten außerordentlichen Kongreß (26. November - 3. Dezember 1924) wurde der Prozeß der Umwandlung der SEKE in die "Kommunistische Partei Griechenlands" über die SEKE(K) besiegelt, d.h. die griechische Sektion der Kommunistischen Internationale gegründet. Es wurde beschlossen, "solide Grundlagen der Bolschewisierung" zu schaffen. Zentraler Punkt der politischen Tätigkeit sollte fortan die Eroberung der Staatsmacht durch die Einsetzung einer Regierung "der Arbeiter und Bauern" sein, um…

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Neue Dokumente zur Kursänderung 1934/1935 in der KPD

Erwin Lewin (Berlin)

Die unzureichende Dokumentation der Brüsseler Konferenz der KPD schließt auch deren Vorgeschichte ein. Auf dem Weg, die Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre dominierende ultralinke politische Linie zu korrigieren, stellte zweifellos die Beratung des Politbüros der KPD mit der Politkommission des EKKI im Januar 1935 in Moskau einen gravierenden Einschnitt dar. Die überlieferten, als "streng vertraulich" geführten, Materialien der Beratung haben in der Parteigeschichtsschreibung der DDR keine…

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Der Fall Dattan - Eine Skizze zu den KPD-Opfern Stalins und ihrer Rehabilitierung

Werner Dietrich (Halle)

Vorbemerkung: Nachdem Mitte der dreißiger Jahre die Stalinsche Massensäuberungswelle auch den größten Teil der in die Sowjetunion emigrierten deutschen Kommunisten erfaßt hatte, wurden viele von ihnen zum Doppelopfer. Sie hatten die Verfolgung des Hitlerstaates überlebt, nun aber begann erst ihre eigentliche Tragödie. Ausgerechnet der Staat, der von jeher als ihr großes Vorbild galt, setzte sie einem Terrorregime aus, das allzuoft ihre physische Vernichtung herbeiführte. Eines der Opfer war auch…

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Sammelrezensionen

Hans Hecker (Düsseldorf): Literatur zur Geschichte der Sowjetunion Torke, Hans-Joachim (Hrsg.): Historisches Lexikon der Sowjetunion 1917/22 bis 1991. Verlag C. H. Beck, München 1993, 401 S.; Nolte, Hans-Heinrich: Rußland/UdSSR. Geschichte, Politik, Wirtschaft. Fackelträger-Verlag, Hannover1991, 288 s.; Portisch, Hugo: Hört die Signale. Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1991, 448 S.; Jegorow, Vladimir K./Jefremow, Wladislaw/Jefremowa, lrina/Mostowoi,…

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Der Stalinismus in der Sowjetunion der dreißiger Jahre. Zur Deformation einer Gesellschaft

Bernd Bonwetsch (Bochum)

Stalinismus und GesellschaftStalin ist seit 40 Jahren tot; die Sowjetunion hat 1991 aufgehört zu existieren. Die Frage ist, ob der Stalinismus damit endgültig der Vergangenheit angehört. Sie ist nicht ganz überflüssig angesichts des Ergebnisses der ersten und zugleich auch letzten repräsentati­ ven Umfrage zum Werte- und Bezugssystem der Sowjetmenschen, die 1989-1991 durch eine Soziologengruppe um Juri Lewada durchgeführt wurde. Danach hätten fünf Jahre Perestroika lediglich auf die äußere,…

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Sowjetische Berater in den zentralen wirtschaftsleitenden Instanzen der DDR in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre1

Andre Steiner (Berlin/Mannheim)

Die sowjetischen Berater in den zentralen wirtschaftsleitenden Instanzen der DDR wurden in der historischen Literatur zur DDR bisher nicht thematisiert. Der vorliegende Beitrag versteht sich als eine erste Annäherung an diesen Gegenstand und die mit ihm verbundene Frage, wie die Sowjetunion nach der zunächst teilweisen Übergabe der Souveränität an die DDR ihre dortigen Interessen konkret wahrnahm. Als Basis werden vor allem die Überlieferungen der zentralen wirtschaftsleitenden Instanzen im…

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Paul Merkers "Unverständnis" für den Hitler-Stalin-Pakt. Gespräche mit dem "Sowjetfeind"

Wolfgang Kießling (Berlin)

Paul Merker trat erstmals 1950 in mein Denken. Wann daraus ein Nachdenken über ihn wurde, vermag ich nicht exakt zu bestimmen. Fest steht, daß es bis heute andauert. Als junger Lehrer im Erzgebirgsdorf Bermsgrün, das nach 1945 von der Tradition zehrte, bei den Wahlen in der Weimarer Zeit stets die absolute Mehrheit für die KPD erzielt zu haben und wo noch bis zur Wandlung der SED zur Partei neuen Typus eine Art proletarischer Solidargemeinschaft herrschte, die mich faszinierte und wesentlich…

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Die Kommunistische Partei Jugoslawiens und die Komintern. Dokumente zur "jugoslawischen Frage" 1936

Vera Mujbegovic und Ubavka Vujosevic (Belgrad)

Die Tätigkeit der im Frühjahr 1919 gegründeten Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ) war schon zu Beginn der zwanziger Jahre Gegenstand von Auseinandersetzungen in der Komintern. Die "jugoslawische Frage", besonders das Problem der Gruppen- und Fraktionskämpfe innerhalb der KPJ, wurde in verschiedenen Kommissionen auf Kongressen sowie Sitzungen des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI) und dessen Instanzen erörtert. Die Komintern schickte mehrere Emissäre nach Jugoslawien, richtete l 928…

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Berta Zimmermann - eine Schweizer Kommunistin im Geheimapparat der Komintern

Peter Huber (Genf)

Die Kaderakte der Schweizerin Berta Zimmermann ist in mehrerer Hinsicht aufschlussreich. Die Dokumente geben einen Einblick in die Mechanismen, denen der alte Mitarbeiterstab der "Otdel meschdunarodnych swasjej" (OMS, Abteilung für internationale Verbindungen) zum Opfer fiel. Es finden sich Hinweise auf die personelle Besetzung der OMS-Zentrale sowie deren Stützpunkt "Nr. 20" in Paris. Erstmals werden Umrisse sichtbar, die im Frühjahr 1936 zur Liquidierung der OMS und deren Umwandlung in "S.S."…

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Einzelrezensionen

Smaga, Jozef: Narodziny i upadek imperium. ZSRR 1917-1991 [Geburt und Verfall eines Imperiums. Die UdSSR 1917-1991]. Wydawnictwo Znak Krakow 1992, 411 S.; Der Autor, ein Historiker der russischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, war ein Aktivist der "Solidarsnosc". Sein Versuch, die politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Phänomene in der Sowjetunion nach dem Sturm auf das Petersburger Winterpalais 1917 bis zur Verteidigung des "Weißen Hauses" im August 1991 in einer…

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Die Kaderschulung der Komintern1

Leonid G. Babitschenko (Moskau)

Die Schulung kommunistischer Parteien war ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Kommunistischen Internationale. Die Ausbilsung in ihren Schulen diente dem Zweck, jungen Kommunisten die Fertigkeit zu vermitteln, in ihrer praktischen Tätigkeit mit Massen umzugehen, ihre Allgemeinbildung zu verbessern, sie politisch aufzuklären und mit den Grundlagen des Marxismus-Leninismus vertraut zu machen, sie zu getreuen Anhängern der Idee der Diktatur des Proletariats und der Weltrevolution zu…

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"Den guten Namen wiederherstellen". Über die Rehabilitierung von Stalin-Opfern in der Sowjetunion

Carola Tischler (Kassel)

In russischen Zeitschriften sind über den Vorgang der Rehabilitierung von Stalin-Opfern erst in der letzten Zeit einige Arbeiten erschienen. In der westlichen Historiographie wurde zwar die Thematik vor allem in Bezug auf die Rehabilitierungen unter Chruschtschow behandelt, doch nur vereinzelt näher auf den Begriff "Rehabilitierung" eingegangen. Generell scheint es einen stillen Konsens zu geben, was darunter zu verstehen ist. Auch in politischen und historischen Hand- und Wörterbüchern zur…

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Gedanken zu Lenin (über die Mittel-Zweck-Relation in der Politik)

Wolfgang Ruge (Potsdam)

1. Wladimir Uljanow ist fast 70 Jahre tot, doch das Thema "Lenin" hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil: Seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus, des­ sen Schicksal - das gilt auch für die DDR - sich in dem von Lenin begründeten Sowjet­ staat entschied, hat es noch an Bedeutung gewonnen. Zudem berührt es die Zukunft: Da das von Lenin gestartete Sozialismus-Experiment das bisher einzige in der Geschichte ist, wirft sein Scheitern generell die Frage nach der Realisierbarkeit…

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"Klassengegner gelungen einzudringen ... ". Fallstudie zur Anatomie politischer Verfolgungskampagnen am Beispiel der Sektion Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin in den Jahren 1968 bis

Rainer Eckert, Mechthild Günther und Stefan Wolle 1 (Berlin)

1. Wie aus der Büchse der Pandora kriechen aus den Aktenbergen des untergegangenen SED-Staates immer neue Monströsitäten. Im Rückblick entsteht das Bild einer Gesellschaft, die bis ins Innerste vergiftet war. Manche möchten gerade deswegen einen Schlußstrich unter die Diskussion ziehen. "Das wirkliche Leben läßt sich nicht auf Akten und Karteikarten reduzieren", kann man in der gegenwärtigen Diskussion um die DDRVergangenheit immer wieder hören. Dies ist zweifellos richtig. Doch gerade deswegen…

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Verbannungen der Einwohner Litauens in den Jahren 1941 und 1945-1952: Überblick über Publikationen der Jahre 1988-1992

Vanda Kasauskiene (Wilnius)

AllgemeinesUnter den Bedingungen des stalinistischen totalitären Regimes betrieb die UdSSR seit 1941 in der von ihr okkupierten baltischen Republik Litauen - ähnliches gilt auch für Lettland und Estland - eine Politik, die die Verbannung eines Teils deren Einwohner zum Ziel hatte - eine Politik mit schmerzlichen Folgen für das litauische Volk. Die Tat­ sache, daß ungefähr 10% der litauischen Einwohner fast 50 Jahre in den rauhesten Ge­ bieten im Norden und Osten der UdSSR verbrachten, wurde…

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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Babitschenko, Leonid Georgewitsch, Prof. Dr., Mitarbeiter am Russischen Zentrum für Aufbewahrung und Erforschung von Dokumenten der neusten Geschichte in Moskau; Bonwetsch, Bernd, Prof. Dr., Professor für Osteuropäische Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum; Bortfeldt, Heinrich, Dr. habil., Research Fellow of the German Marshall Fund of the United States, freier Mitarbeiter am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Lehrbeauftragter an der Freien Universität…