JHK 2019

Inhaltsverzeichnis

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Sibirien und die Mongolei zwischen Russischem Reich und Komintern

Ivan Sablin

1. Einführung Der Export der Revolution in die Mongolei war einer von zwei erfolgreichen für die Kommunistische Internationale (Komintern). In den frühen 1920er-Jahren sollte er der erste Schritt auf dem Weg zur sozialistischen Entkolonialisierung von Inner- und Ostasien sein. Obwohl vor dem Zweiten Weltkrieg keine weiteren sozialistischen Staaten gegründet wurden, die Agenda der Weltrevolution aufgegeben wurde und es mit der Komintern bereits in den späten 1920er-Jahren bergab ging, blieb die…

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Von Südafrika über Europa hinaus?

Hanno Plass

1. Einleitung Die Anfangsjahre der Communist Party of South Africa (CPSA)[1] waren geprägt von der Auseinandersetzung um Ausrichtung und Verortung als Teil der kommunistischen Weltbewegung wie auch in Südafrika mit seinen verschärften Bedingungen der rassistisch fundierten Ausbeutung. Der Anspruch der Partei, die Grenzen der »Rassengesellschaft«[2] zu überschreiten und sowohl unter der herrschenden weißen Minderheit als auch unter der coloured[3] und indischen Minderheit wie der schwarzen…

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Jenseits der Orthodoxie

Steffi Marung

Die transregionale Geografie der sowjetischen Wissensproduktion Während die postkoloniale Kritik an Marx und dem europäischen Marxismus ost- und westeuropäischer Prägung seit Jahrzehnten fruchtbare Forschung hervorgebracht hat, ist dabei bislang weniger danach gefragt worden, welche Folgen die transregionale Zirkulation von Akteuren und Konzepten aus dem vermeintlichen – hier: sowjetischen – Zentrum marxistischer Theorieproduktion und der – ebenfalls vermeintlichen – postkolonialen Peripherie…

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Marx in Beijing

Felix Wemheuer

1. Unbehagen am Universalismus Seit zwei Jahrzehnten ist sowohl von feministischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als auch von Teilen der Postcolonial Studies sowie Labor Studies Kritik an einem »Eurozentrismus« in der Theorie des Kapitalismus von Karl Marx formuliert worden. Eine zentrale These in seinem Werk war, dass Kapitalismus auf freier Lohnarbeit beruhen und sich diese Form der Arbeit gegenüber unfreien Verhältnissen wie Sklaverei oder Leibeigenschaft durchsetzen würde. Nach…

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Auf dem Weg zu einer transregionalen Geschichte des Kommunismus

Matthias Middell

[1]Die internationale Geschichtswissenschaft hat in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten eine grundlegende Wende zur stärkeren Beachtung transnationaler, transregionaler und sogar globaler Prozesse erlebt.[2] Diese wiedergewonnene Aufmerksamkeit für Akteursnetzwerke und Handlungsfelder, die über die Grenzen einzelner Staaten und Gesellschaften hinausreichen, ist zweifellos eine Reaktion auf den Aufstieg der Rede von einer allmächtigen Globalisierung, die frühere Formen der Verräumlichung…

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Zentralasien, die Sowjetunion und die Globalgeschichte der Dekolonisation

Moritz Florin

»Die Selbstauflösung der KPdSU kam fraglos einem Akt einzigartiger Selbstbefreiung einer Gesellschaft gleich. […] Und in diesem Zusammenhang möchte ich mit Ihnen einen Gedanken teilen, der mir in letzter Zeit häufig in den Sinn kommt. Wenn sich der Zerfall eines solchen Imperiums, wie es die Sowjetunion war und immer noch ist, aufs Große und Ganze gesehen so schmerzlos vollzieht, sehe ich darin eine Fügung höheren Schicksals. […] Ich kann nicht anders, als dies mit dem zu vergleichen, was mit…

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Sozialistische Transfers im Gesundheitswesen in Afrika in den 1970er-Jahren

Bogdan C. Iacob

1. Einleitung In diesem Artikel untersuche ich die Besonderheiten und Probleme der Internationalisierung sozialistischer Gesundheitsvorsorge in den 1970er-Jahren in Afrika. Während der dritten Welle der Dekolonisierung kennzeichnete ein neues Phänomen diesen Prozess: der Export kompletter medizinischer Teams, besonders nach Nordafrika. Diese Gesundheitsteams sollten die effiziente Übertragung der sozialistischen Moderne in einen postkolonialen Raum sicherstellen. Als Osteuropa verstärkt auf die…

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Der Leninismus und die nationale Frage in Afrika

Constantin Katsakioris

1. Einführung  Die Anziehungskraft des Marxismus und Kommunismus in Afrika ist ein ebenso wichtiges und unübersehbares wie kompliziertes Kapitel der zeitgenössischen transnationalen Geschichte. Es ist wichtig, weil während des Kalten Krieges Intellektuelle, Aktivisten, antikoloniale Bewegungen oder herrschende Regime, wie in Äthiopien und Mosambik, den wissenschaftlichen Kommunismus nachzuahmen versuchten, während verschiedene Länder, von Algerien über Tansania bis Burkina Faso, obwohl…

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren, Herausgeber und Beiräte des Jahrbuches für Historische Kommunismusforschung 2019

Moritz Florin Dr., geb. 1983 in München. Akademischer Rat auf Zeit am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte mit dem Schwerpunkt der Geschichte Osteuropas an der Universität Erlangen-Nürnberg. 2013 Promotion an der Universität Hamburg mit einer Arbeit zum sowjetischen Zentralasien. Derzeit arbeitet er an einem Projekt zur Globalgeschichte des Terrorismus im 19. Jahrhundert. Ausgewählte Veröffentlichung: Kirgistan und die sowjetische Moderne. 1941–1991 (= Kultur- und Sozialgeschichte…

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»Vereinigt in der internationalen Solidarität!«

Holger Weiss

1. Einleitung Zu Beginn des Jahres 1931 informierte die International Negro Workers’ Review ihre Leser über die Kämpfe der deutschen Hafenarbeiter in Hamburg gegen geplante Lohnkürzungen. In Großbritannien und Japan, so das Journal, planten die Reeder einen Angriff auf Seeleute und Hafenarbeiter. Die als »Sozialfaschisten« gebrandmarkten Führer und Bürokraten der nationalen Gewerkschaften wurden des Verrats an den Arbeitern beschuldigt, da sie sich mit den kapitalistischen Eigentümern…

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Nationale Selbstbehauptung und sozialistische Mission

Andreas Hilger

»Gandhi! Ich habe Fülöp-Millers Buch Lenin und Gandhi, erschienen 1927 in Wien, gelesen. Der Autor zeichnet die beiden Führer ziemlich gekonnt, stellt sie einander als die beiden gleich hohen ›Gipfel‹ unseres Zeitalters gegenüber. Vor sieben Jahren kam dieser Vergleich nur Kommunisten absurd vor, vielleicht auch einigen klarsichtigeren Vertretern der europäischen Bourgeoisie. Aber heute? Wer, selbst aus den Reihen der bürgerlichen Intellektuellen, würde es heute wagen, Lenin und Gandhi…

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Exportmodell »Sozialistische Bauernnation«?

Stefan Troebst

1. Spezifika eines Pro-forma-Zweiparteiensystems Das politische System der 1946 gegründeten Volksrepublik Bulgarien (VRB) bestand von 1948 bis 1989 aus zwei Parteien, aus der Bulgarischen Kommunistischen Partei (Bălgarska komunističeska partija – BKP) und dem Bulgarischen Volksbauernbund (Bălgarski zemedelski naroden săjuz – BZNS). Bulgarien unterschied sich damit sowohl von der UdSSR mit ihrem Einparteiensystem als auch von anderen Volksdemokratien wie etwa Polen, aber auch der DDR, wo es…

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Die Entwicklung der Area Studies in der DDR als Reaktion auf die Dekolonisierungsprozesse der 1950/60er-Jahre

Matthias Middell

Das seit einiger Zeit intensivierte Interesse am Beitrag des realsozialistischen Blocks zu Weltwirtschaft und Weltpolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts[1] führt auch zu der Frage, wie sich die zeitgenössischen Akteure in einer durch die Dekolonisierung komplexer werdenden Welt orientiert haben und welche Rolle dabei die Area Studies gespielt haben. Neben der Sowjetunion, die (1) aus einer spezifischen Tradition der »Untersuchung des Orients« (vostokovedenije),[2] (2) aus ihrer…

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Die Roten und die Schwarzen

Christian Høgsbjerg

1. Einleitung Die Idee der »Weltrevolution« ist, historisch gesehen, eine relativ moderne, die wohl auf den bedeutenden »Weltbürger« Thomas Paine zurückgeht, der am 4. November 1791 in London einen Trinkspruch auf »The Revolution of the World« ausbrachte.[1] Paines Toast erfolgte inmitten eines der bedeutendsten Momente des Internationalismus der Revolutionsära: Infolge des Revolutionsausbruchs von 1789 – der wiederum von der Amerikanischen Revolution von 1776 inspiriert wurde – kam es im…

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Die kommunistischen Parteien Ostasiens und die chinesisch-sowjetische Spaltung

Danhui Li/Yafeng Xia

1. Einleitung  Als sich die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) und die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) in den frühen 1960er-Jahren immer mehr auf eine Spaltung zubewegten, war der Bruch im chinesisch-sowjetischen Bündnis nur teilweise in der Öffentlichkeit zu erkennen. Ein Großteil des Konflikts fand nicht offen statt. Während dieses Prozesses traten zwei Phänomene gleichzeitig auf. Erstens gab es vor dem Hintergrund der chinesisch-sowjetischen ideologischen Polemik eine Spaltung…

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Globale Ungleichheiten bekämpfen

Bence Kocsev

1. Entwicklungsländerforschung Die Ursprünge der ungarischen Erforschung der außereuropäischen Welt können bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt werden; diese Aktivitäten wurden in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bedeutsamer. Ohne einen klassischen Kolonialstaat, der sie hätte unterstützen können, hielten die ungarischen Entdecker Afrikas und Asiens mit ihren westlichen Ebenbildern Schritt. Die relativ lange Liste ungarischer Entdecker enthält mehrere…

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Globale Herausforderung

Kolja Lindner

1. Einleitung Da die Frage des Eurozentrismus in den westlichen Geschichts- und Sozialwissenschaften seit etwa 20 Jahren vermehrt gestellt wird, bleibt auch das Werk von Karl Marx (1818–1883) nicht von ihr verschont. Trotz einer ganzen Bandbreite von Reaktionen überwiegt im marxistischen Lager eine mehr oder weniger differenzierte Zurückweisung der Eurozentrismuskritik, die durchaus Züge einer Abwehr trägt: Marx sei ein globaler Denker gewesen, der historischen Fortschritt in westlichen Ländern…