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Hier finden Sie die retrodigitalisierten Fassungen der Ausgaben 1993 bis 2020 des Jahrbuches für Historische Kommunismusforschung (JHK).

Weitere Bände werden sukzessive online gestellt. Die aktuelle Printausgabe folgt jeweils zwei Jahre nach ihrem Erscheinen.

Das Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung wurde 1993 von Hermann Weber (†) als internationales Forum zur Erforschung des Kommunismus als europäisches und globales Phänomen gegründet. Das Jahrbuch enthält Aufsätze, Miszellen, biografische Skizzen, Forschungsberichte sowie Dokumentationen und präsentiert auf diesem Weg einmal jährlich die neuesten Ergebnisse der internationalen Kommunismusforschung.

Seit 2004 wird das Jahrbuch im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegeben und erscheint aktuell im Berliner Metropol Verlag.

Herausgeber: Ulrich Mählert, Jörg Baberowski, Bernhard H. Bayerlein, Bernd Faulenbach, Peter Steinbach, Stefan Troebst, Manfred Wilke.

Wissenschaftlicher Beirat: Thomas Wegener Friis, Stefan Karner, Mark Kramer, Norman LaPorte, Krzysztof Ruchniewicz, Brigitte Studer, Krisztián Ungváry, Alexander Vatlin.

Bitte richten Sie Manuskriptangebote an die Redaktion: jhk[at]bundesstiftung-aufarbeitung.de

JHK 2021

»Tor in eine komplett neue Welt«?

Computerspiele(n) in der DDR – eine Annäherung

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 227-244 | Metropol Verlag

Autor/in: Angela Schwarz

[1] Spielen am und mit dem Computer stellte die Fangemeinde im Staatssozialismus vor besondere Probleme. Als das digitale Spiel in den 1980er-Jahren größere Verbreitung fand, sahen sich sowohl Führungsriegen als auch andere Mitglieder der Bevölkerung in diesen Gesellschaften mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Es war nicht damit getan, ein Regelwerk zu vereinbaren, an das sich alle hielten, auch nicht damit, wie bei anderen Spielen über bestimmte Gegenstände wie Ball und Schläger oder Spielbrett und Figuren zu verfügen oder sie selbst anzufertigen. Vielmehr bedurfte es spezieller komplexer Geräte, der Hardware: neben dem Computer und dem Laufwerk noch eines Bildschirms, eines Fernsehgeräts oder Monitors. Hinzu kam noch die Videospielsoftware – ohne sie lief kein Spiel.

Sowohl Hardware als auch Software waren in den sozialistischen Ländern in den 1980er-Jahren allerdings Mangelware.[2] Zwar begrüßten die Verantwortlichen in der DDR ähnlich wie ihre Pendants in den anderen sozialistischen Staaten Osteuropas die Computerisierung als großen Fortschritt und scheuten sie nicht als weiteres Element in der Konkurrenz zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Eine flächendeckende Ausstattung mit Computern kam aber bis zum Ende des Jahrzehnts weder in den Bildungseinrichtungen und Jugendorganisationen, in denen die Heranwachsenden an die neue Technologie herangeführt werden sollten, noch in den Vorrangbereichen Militär, Produktion oder Verwaltung zustande. Von einer Durchdringung der privaten Haushalte mit Heim- oder Kleincomputern, die im Westen die eigentliche Veralltäglichung der Computerisierung und damit den »Dammbruch in die Informationsgesellschaft« brachte,[3] waren die sozialistischen Länder ohnehin weit entfernt. Das galt selbst für die DDR, die mit einer stabileren wirtschaftlichen Lage als manch andere Ökonomie des sozialistischen Wirtschaftsraumes bzw. mit ihren wirtschaftlichen Kontakten zum Westen und besonders zur Bundesrepublik in mehrfacher Hinsicht eine günstigere Ausgangsposition besaß.

Obwohl die Versorgung mit der neuesten Technik in der Mangelwirtschaft ein Problem darstellte, hatte der Staat ein hohes Interesse an der Computerisierung,[4] die mehr als das Erziehungsziel eines sozialistischen Menschen und die nötigen Modernisierungen der Wirtschaft im Auge hatte. Denn mit den neuen technischen Entwicklungen mithalten zu können, stellte für die Verantwortlichen ein wichtiges Propagandamittel dar, das sich im Systemkonflikt hervorragend einsetzen ließ. Nach der eigenen Bevölkerung war es jene im Referenzstaat Bundesrepublik, auf die der ostdeutsche Umgang mit der Computertechnologie Eindruck machen sollte. Im Unterschied zum zeitgenössischen westdeutschen Diskurs war der ostdeutsche über Computerspiele für Kinder und Jugendliche ebenso wie für Erwachsene offenbar frei von Berührungsängsten.[5]

Wer also in der DDR Computerspiele spielen wollte, hatte mehrere pragmatische Hürden zu nehmen und mit einem gesteigerten Augenmerk der Staatsführung bei seiner Freizeitbeschäftigung zu rechnen. Wie gestaltete sich der Zugang zu Hardware und Software? Welchen Einfluss übte der Staat aus und inwieweit konnten seine Organe angesichts der für viele neuen Technologie überhaupt eingreifen und ihrem umfassenden Überwachungsauftrag nachkommen? Wie erfolgreich konnte er mit seinen Zielvorgaben, etwa der Heranbildung einer neuen technischen Elite, sein?[6] Was trieb daneben Spielende an, wenn sie sich an den Computer setzten? Spieltrieb, der Spaß am Tüfteln, der Gedanke an Freiräume, der Wunsch, sich in irgendeiner Form dem Regime zu entziehen und vielleicht sogar subversiv zu agieren?

Bevor Fragen wie diese sich weiter erörtern lassen, sind in einem ersten Schritt die wesentlichen Bedingungen für Computerspiele und das Spielen am Computer in der DDR näher zu erläutern. Dann können in einem zweiten Schritt die Maßnahmen des Staates als Kontrollinstanz, die Perspektive der Spielerinnen und Spieler mit ihren Interessen und Aktivitäten sowie die Spiele selbst zum Gegenstand werden. Die ökonomisch-technische Seite mit der Zielsetzung, eine eigene Computertechnologie zu entwickeln und die Computerisierung voranzutreiben,[7] wird vorab im Umfeld der Voraussetzungen angesprochen. Da Videospiele und das Spielen am Computer in der DDR bislang kaum erforscht sind,[8] lässt sich bestenfalls tentativ beantworten, ob und inwieweit sich mit dem und durch das Spielen »eine komplett neue Welt« eröffnete und ob sich auch im Staatssozialismus besondere Freiheiten ergaben, die, wie schon früh für den Westen ermittelt, »neue Formen einer (selbst)bewußten und (eigen)verantwortlichen Mediennutzung«[9] schaffen konnten. Die nachfolgenden Überlegungen haben daher den Charakter einer Annäherung an ein Forschungsfeld, das als vielschichtig und lohnenswert vorgestellt werden soll.   

 

 

Unterhaltungselektronik in der DDR: Technische Voraussetzungen und Verfügbarkeit

 

Die Vorstellung von einer strahlenden Zukunft durch Technik galt im Osten wie im Westen. Auf beiden Seiten gingen die politischen Eliten davon aus, dass die Erfolge auf dem Gebiet der technischen Weiterentwicklung maßgeblich dafür seien, welche Seite den Konflikt der Systeme für sich entscheiden könnte. Während im Westen die Rede von der Dritten Industriellen Revolution war, galt für den gesamten sozialistischen Osten der Begriff der sogenannten Wissenschaftlich-Technischen Revolution (WTR), der in den frühen 1970er-Jahren die modernen Informationstechnologien mit einschloss.[10] Unter diesem Rubrum wurden anschließend auf verschiedenen Ebenen von der Bildung der Heranwachsenden bis zur Forcierung der eigenen Produktion etwa auch von Computertechnologie Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Allerdings erwiesen sich die sozialistischen Gesellschaften mit ihrer Planwirtschaft bald als unfähig, mit der Entwicklung in der kapitalistischen Welt mitzuhalten. Der angekündigte Übergang in ein Zeitalter modernster Technik und damit sozialistischer Erfolge quasi in Serie erwies sich daher schon früh als klare Überforderung für die Volkswirtschaften.[11]

Dessen ungeachtet bekräftigten die Verantwortlichen unbeirrt, dass die Computerisierung eine zentrale Aufgabe darstelle. Eine wesentliche Rolle wurde dabei der Bildung zugewiesen, genauer der Intensivierung der Angebote im Bereich der Informatik an Schulen und Universitäten, die ab 1986/87 das Studienfach »Informationsverarbeitung« ersetzte.[12] Mit dem Ausbau des Faches Informatik wurde auch die Ausstattung mit Geräten vorangetrieben. Von einer flächendeckenden Ausrüstung dieser sogenannten Computerkabinette in den Universitäten und Schulen konnte allerdings nicht die Rede sein, obwohl dies häufig die einzigen Orte waren, an denen Computer überhaupt zur Verfügung standen und genutzt werden konnten.[13] Solche Kabinette entstanden außerdem in Einrichtungen der organisierten staatlichen Jugendfreizeit, wie sie etwa die Pionierorganisation Ernst Thälmann und die FDJ in den Städten oder in Ferienlagern auf dem Land schuf, um unter anderem »Schueler der Altersstufe von 10–14 Jahren im Umgang mit Computern vertraut zu machen« und »das Interesse für die Elektronik und die Informatik zu wecken bzw. zu vertiefen«.[14] Videospiele firmierten dabei für die SED-Führung durchaus als geeignetes Mittel, bei jungen Menschen eine Faszination für den Computer zu erzeugen, um diese später für die Zwecke der Partei kanalisieren zu können.[15] Ein nicht unerheblicher Teil der künftigen begeisterten Videospielerinnen und -spieler in der DDR kam mit dem neuen »Spielgerät« somit zum ersten Mal in den staatlichen Bildungsstätten in Berührung.[16]

Für die Ausstattung der staatlichen Einrichtungen für die jungen Menschen wurden Geräte aus der eigenen Entwicklung von Mikrocomputern bereitgestellt. Damit folgte man dem Beschluss des XI. Parteitages der SED von 1986, dass nun mehr Unterhaltungselektronik produziert werden solle, da dies den Interessen der Jugend entspreche. Allerdings musste die DDR-Wirtschaft in der Entwicklung ebenso wie in der Versorgung mit Geräten nicht selten auf West-Technologie zurückgreifen. So gelang es lange Zeit nicht, eigene Geräte oder Mikrochips zu entwickeln, selbst der von Erich Honecker groß angekündigte 1-Megabit-Chip war zum Zeitpunkt der Vorlage einiger Musterexemplare 1988 schon wieder veraltet.[17] Wie darüber auf den verschiedenen parteilichen und behördlichen Ebenen des SED-Staates verhandelt wurde, wie der augenscheinliche Widerspruch aufgelöst werden sollte, mit West-Technik die Fortschrittlichkeit, wenn nicht gar den Vorsprung der DDR-Computertechnologie vor dem Systemgegner unter Beweis zu stellen, zählt zu den spannenden Fragen in diesem Zusammenhang.[18] Während im Westen das Vordringen der Heimcomputer die Computerisierung des Alltags vorantrieb, schufen ostdeutsche Betriebe erst spät die Voraussetzungen, um die Herstellung von Heimcomputern aufnehmen zu können. 1984 begannen der VEB Kombinat Robotron in Dresden und der VEB in Mühlhausen damit, für den inländischen Bedarf zu produzieren. Allerdings erreichten nur wenige der rund 30 000 zwischen 1984 und 1989 produzierten Rechner, die offiziell bald nur noch Kleincomputer hießen, tatsächlich die Geschäfte.[19] Der größte Teil der Rechner ging in Betriebe und Bildungseinrichtungen. Der Preis lag für private Interessenten anfangs bei 4000, später bei 2000 DDR-Mark und entsprach damit mehreren Monatslöhnen eines Durchschnittsverdienenden. Bezahlt war damit auch nur der Computer, nicht aber die Geräte, die für seine Inbetriebnahme ebenso nötig waren, wie Laufwerk, Bildschirm/Fernsehgerät, Joystick. Der bekannteste Kleincomputer war der KC85,[20] dessen Leistungsfähigkeit allerdings deutlich unter der des zeitgleich im Westen weit verbreiteten Commodore 64 lag. Der C64 wiederum erfreute sich unter den Spielenden in beiden deutschen Teilstaaten großer Beliebtheit, war aber in der DDR nur schwer und für enorme Summen zu haben.[21] Dass er dort überhaupt zu beziehen war, wurde von der Führung angesichts des Ziels einer Verbreitung von Informatikkenntnissen durchaus akzeptiert, mitunter, wie etwa in der Anschaffung von West-Computern für Computerclubs wie dem im »Haus der jungen Talente« (HdjT) in Berlin, sogar gefördert.

Computerspiele wurden im SED-Staat noch auf andere Art technologisch unterstützt. So produzierte die DDR ab den späten 1970er-Jahren für kurze Zeit eine eigene Spielekonsole, die BSS 01, mit der meist nur minimal abgewandelte Kopien von West-Spielen wie »Tennis« oder »Squash«, in der DDR »Pelota« genannt, auch im Osten genutzt werden konnten. Für die Zeit von 1985 bis 1989 kam noch ein Arcade-Automat aus eigener Produktion hinzu, der PolyPlay, der für 50 Pfennig pro Durchgang Spiele wie »Hase & Wolf«einen »Pac-Man«-Klon –, »Wasserrohrbruch« oder »Autorennen« anbot.[22] Wie sehr die Führung das Spielen am Computer zur ersten Kontaktaufnahme junger Menschen mit dem damals neuen Medium fördern wollte, lässt sich dem Umstand entnehmen, dass die PolyPlay-Automaten nicht nur in Jugendclubs und Ferienheimen der FDJ standen, sondern selbst im Palast der Republik in Berlin aufgebaut wurden.[23]

Doch verglichen mit den Millionen von Heimcomputern und Spielekonsolen, die in Westdeutschland frei verkäuflich und damit leicht zugänglich waren, nahm sich die Zahl der in der DDR verfügbaren Geräte sehr bescheiden aus. So mussten die Fans von Computerspielen in der DDR deutlich weitere Wege zum Spielen in Kauf nehmen und auf die wenigen öffentlichen Rechner zugreifen, sofern sie nicht zu denen gehörten, die über einen der im Privaten seltenen Ost-Computer oder sogar einen West-Computer verfügten. Computernutzung im Staatssozialismus erforderte vor dem eigentlichen Zugang zum Spielgerät daher einiges an Willen und Zeit sowie Improvisationstalent. Bastelbausätze für ergänzende Hardware konnten zusammengesetzt, Anleitungen aus Zeitschriften wie dem Funkamateur[24] für den Eigenbau befolgt oder Geräte in Kaufhäusern, Bildungseinrichtungen und Betrieben genutzt werden.[25]

 

 

Spielen für den Sozialismus: Staatliche Bemühungen um Kontrolle von Spiel und Spielen

 

»Durch den Einsatz der Computertechnik in allen Bereichen der Gesellschaft wurde das Interesse breiter Bevölkerungsschichten an der Technik geweckt. Die private Beschaffung und Nutzung von Computertechnik nimmt ständig zu. In immer stärkeren [sic] Umfang bilden sich Interessengemeinschaften oder Computerclubs.«[26] So fasste 1988 ein Bericht der AG Geheimnisschutz, Teil des Ministeriums für Staatssicherheit, die Situation hinsichtlich der Nutzung von Heim- oder Kleincomputern im Land zusammen. Die Maßnahmen, die in der Überwachung von Personen und Sachverhalten ergriffen würden, hieß es darin weiter, wären angesichts der Existenz von – einzelnen – Computerbegeisterten mit einer »verfestigte[n] negative[n] Haltung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung« mit Nachdruck »weiter zu vervollkommnen«.[27] Für die Staatsführung bildeten die Verbreitung von Computerkenntnissen und das Erlernen ihrer produktiven Anwendung zwar wichtige Aufgaben, doch sollte sich ihre Umsetzung in dem von der Führung vorgegebenen ideologischen Rahmen bewegen. Im Grunde vermutete sie nicht zu Unrecht in der ungehinderten Nutzung der neuen Technologie potenziell regimekritische Aktivitäten. Der Staat richtete daher sein Augenmerk auf einen größeren Interessentenkreis, die Fans der neuen Computertechnik, die die Staatssicherheit als eigens zu überwachende Gruppe führte,[28] wodurch das Augenmerk sowohl auf die private Nutzung als auch die Aktivitäten in den neu entstehenden, zum Teil von Mitgliedern der Jugendverbände selbst geschaffenen Computerclubs fiel. Er schuf überdies mit dem »Computersport« in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) und ihrer paramilitärischen Zielsetzung,[29] für die technischen Experten in der Armee von morgen zu sorgen, die Basis für einen weiteren Vorstoß in das Feld der Computerbegeisterten, um diese gleichermaßen zu fördern und zu kontrollieren.[30]

Solche Clubs entstanden aus privater ebenso wie staatlicher Initiative, wobei bislang kaum Informationen zu jenen im privaten Raum vorliegen. Die Bezeichnung »Club«, die die Staatsmacht in ihren Dokumenten nutzte, suggeriert bereits eine gewisse organisatorische Struktur auch bei den privaten Initiativen. Diese musste jedoch gar nicht vorliegen und wäre daher erst einmal zu ermitteln. Mit dem Fokus auf die dort Aktiven ließen sich zahlreiche Fragen zum Spielen von Videospielen in der DDR untersuchen, die sich für die staatlichen Clubs, über die die Behörden aufgrund der Überwachung mehr Informationen sammelten und – für heutige Analysen hilfreich – mehr Akten produzierten, teilweise anders stellen. Denn im privaten Raum, etwa bei einem Fan, der über einen Computer verfügte, konnten sich einzelne Interessierte treffen, austauschen und spielen ohne die Beschränkungen, die in den staatlichen Clubs bestanden. Solche Beschränkungen begannen bei der Zahl der jeweils verfügbaren Geräte, die in den staatlichen Einrichtungen im Verhältnis zur Nachfrage sehr gering war, was dort deutlich kürzere Zeiten der Nutzung zur Folge hatte, und endeten bei den jeweils unterschiedlichen Freiräumen in den Gesprächen über die Technik, die Spiele, das Spielen und sein Erleben.[31] Diese Freiräume mussten nicht zwangsläufig eine Distanz zur politischen Führung oder gar regimekritische Positionen zur Folge haben – wie sie sich etwa für die Tschechoslowakei feststellen lassen.[32] Weitere Probleme folgten: Welche aus staatlicher Sicht unzulässigen West-Spiele im Gebrauch waren, mochte sich bei einem »Lauschangriff« vielleicht noch erkennen lassen. Wie das Gespräch der Spielerinnen und Spieler darüber auszuwerten war, schloss aber ein, sich in dem Sprachregister auszukennen. Einige Spielende von damals erklären, es sei einfach gewesen, die in Technikkenntnissen unterlegenen Bewacher zu überlisten.[33] Zudem deuten IM-Berichte für die Staatssicherheit aus Computerclubs darauf hin, dass Stasimitarbeiter nicht zwingend immer alles von der »Fachsimpelei« der Computerfans nachvollziehen konnten.[34]

Erwartungsgemäß ist über einige der staatlichen Treffpunkte etwas mehr bekannt, sowohl über die Clubs und ihre Angebote aus Sicht einzelner Akteure als auch über die staatliche Sicht auf die Vorgänge bei den regelmäßigen Treffen. In dem zuvor zitierten Bericht wurden 1988 die folgenden Vereinigungen als bekannt aufgelistet: C 16-Club Dresden, Commodore Club Jena, DDR Commodore Club, Schneider Computerclub Berlin, Arbeitsgemeinschaft Mikroelektronik Berlin, Atari Interessengemeinschaft Rostock und der Computerclub im Haus der jungen Talente in Berlin.[35] Bemerkenswert ist die Dominanz westlicher Geräte, die trotz der Produktion eigener Computer geduldet oder gefördert wurde. Sie war nicht selten auf die klare Präferenz der Clubleiter zurückzuführen, die sich der Attraktivität dieser Technologie für die jungen Begeisterten bewusst waren und solche Geräte anschafften.[36]

In dem damals im Land wohl bekanntesten Computerclub der DDR, im HdjT in Berlin, über den derzeit mehr Informationen vorliegen als über die anderen, trafen sich die Interessierten ab Januar 1986 regelmäßig.[37] Die Mehrheit der Teilnehmenden war jünger als 30, doch auch ältere Computerfans, durchaus einige davon über 40 oder 50 Jahre alt, nahmen an den Veranstaltungen teil. Anfangs konnten sich dort etwa 100 Interessierte in zwei Gruppen für Anfänger und Fortgeschrittene einfinden, um zu erlernen, »[w]ie der elektronische Gesprächspartner fachgerecht angesprochen werden will«, wie es in der Berliner Tagespresse hieß.[38] In den angebotenen Vorträgen und Kursen ging es u. a. um »akademische« Ziele, während jedoch für die meisten der Austausch mit Gleichgesinnten über das Programmieren, Tüfteln und eben das Spielen im Vordergrund stand. Der Organisator des Clubs, Stefan Seeboldt, vermittelte offen seine Vorstellungen über die Zielsetzungen, die eben nicht eins zu eins das Interesse der SED hinsichtlich der Computernutzung abbildeten. Vielmehr kamen für ihn Praxis und Spaß vor einer Vorbereitung auf Ausbildung und Beruf oder gar den Maximen der sozialistischen Gesellschaft. Es sollte seiner Ansicht nach aber nicht dabei bleiben, »bunte Computerspiele zu bedienen«,[39] sondern dahin gehen, sich die Technik zu erobern, um sie letztlich kreativ zu nutzen.[40] Mit kreativ war hier weder im Sinne der Parteispitze der Erfindungsreichtum einer künftigen Generation von regimetreuen Computerspezialisten noch die anarchische Qualität von Hackerkulturen gemeint, wie sie etwa im Westen zeitgleich entstanden. Vielmehr ging es um eine schöpferische Aneignung des neuen Mediums, der neuen Technik, die Potenziale freisetzte. Bis zu einem gewissen Grad überschnitten sich hier somit die Interessen des Clubleiters mit denen der Staatsmacht, die auf Bürgerinnen und Bürger angewiesen war, die mit der Technik umgehen, für sie werben und dafür begeistern konnten. Das wiederum eröffnete im politischen und wirtschaftlichen Klima der mittleren 1980er-Jahre einige Freiräume, die in anderen Feldern so nicht bestanden.

Zur technischen Ausrüstung des HdjT in Berlin gehörten damals gängige West-Computer,  die in Stasiberichten detailliert aufgelistet wurden. In solchen Listen fanden sich zahlreiche West-Titel, einige besonders hervorgehoben, weil sie nach Einschätzung des Ministeriums für Staatssicherheit einen unmissverständlich militaristischen oder gar inhumanen Charakter aufwiesen. Bemerkenswert ist dabei, dass die Staatsmacht allein auf die Aspekte Militarismus und Inhumanität setzte. Es wurde mit keinem Wort erwähnt, dass so mancher dieser US-amerikanischen Titel durchaus eine unmissverständlich antikommunistische oder explizit antisowjetische Position einnahm.[41] Tatsächlich entwickelte sich das HdjT in Ost-Berlin bald nach seiner Eröffnung zu einer »Kopierhochburg für die Ostblockstaaten«.[42]

Ebenfalls gut dokumentiert sind die Bemühungen der Gesellschaft für Sport und Technik, einer paramilitärischen Einrichtung der DDR, die Mitte der 1980er-Jahre den »Computersport« als Teil des »Nachrichtensports« einführen und dazu 200 Sektionen schaffen und für diese 5000 Mitglieder gewinnen wollte. Tatsächlich entfaltete die GST ab 1987 eine beachtliche Vielfalt an Aktivitäten unter Einbezug der Programmierung von Computerspielen »zur sinnvollen Freizeitgestaltung«,[43] um mit der Beschäftigung mit Informatik und Computertechnik »Vorleistungen für Verwendungen in den Streitkräften« zu erbringen.[44] Zwei Interessen des Staates und Diskursstrategien gingen hier eine Verbindung ein: erstens die Betonung des Spielens als »sinnvolle« Aktivität, zweitens die Einbindung in die (para-)militärische Ausbildung und damit die Modernisierung in diesem Feld. Veranstaltet wurden regelmäßige Treffen in den Computerkabinetten, sogenannte Programmierolympiaden, Präsentationen für eine breitere Öffentlichkeit auf den GST-Kongressen oder auf Volksfesten in den Städten,[45] die zugleich als Werbeaktionen für interessierte Laien aus allen Kreisen gedacht waren. In der Fachzeitschrift Funkamateur fanden sich praktische Anleitungen zum Eigenbau von Geräten ebenso wie Berichte mit eindeutigen Absichten, die Neugier der jungen Menschen für die GST zu instrumentalisieren.[46] Wiederum versuchte der Staat, über eigene Angebote die Faszination für Computer und Computerspiele im eigenen Interesse zu lenken.

 

 

Basteln, Spielen, Tauschen, Programmieren: Spielende in der DDR und das Spektrum ihrer Interessen

 

Damit sind nun endgültig die Spielenden in den Blick gerückt, die mehr noch als die Staatsführung mit ihren Motiven und ihrer Spielerfahrung bezogen auf die DDR als weitgehend unerforschtes Terrain einzustufen sind.[47] Zwar wurden Studien zur Motivation und zum Spielverhalten spätestens seit der Jahrtausendwende immer wieder durchgeführt.[48] Dennoch liegen für die frühen Jahre der Heimcomputer und ihre Spielerinnen und Spieler generell bisher kaum verwertbare Informationen vor. Das damals noch junge Medium wurde anders als heute weder von den zeitgenössischen Jugend- und/oder Freizeitstudien ausdrücklich in den Blick genommen, noch existieren wissenschaftliche Forschungen zum damaligen Spielverhalten. Einzelne Arbeiten nähern sich indirekt, etwa über die Fachzeitschriften aus der Zeit, dem Hobby Computer und Computerspielen an,[49] doch eine umfassende Studie auf Basis der Oral History, die in Ermangelung schriftlicher Ego-Dokumente den besten Zugang zu diesen Erfahrungen eröffnet, gibt es selbst für Westdeutschland oder andere westliche Länder noch nicht. Hier beträte eine Rezeptionsstudie gleich in mehrfacher Hinsicht Neuland.

Was bislang an Informationen über Spielende in der DDR vorliegt, geht zumeist auf Aussagen einzelner Spielbegeisterter zurück. Den überwiegenden Teil derer, die sich dazu öffentlich geäußert haben, trieb eine besondere Wissbegier an, die sich in den 1980er-Jahren schnell ausbreitende Computertechnologie kennenzulernen und im Rahmen der – wachsenden – eigenen Möglichkeiten mitzugestalten. Bei einigen blieb diese frühe Faszination erhalten, sodass sie heute noch beruflich mit ihr zu tun haben, mitunter sogar als Gamedesignerinnen und -designer. Diese Computerfans von damals besitzen in der Branche natürlich einen gewissen Bekanntheitsgrad, ein wesentlicher Grund dafür, dass sie als Zeitzeugen leichter zu ermitteln waren als die meisten anderen, die in den 1980er-Jahren in der DDR Videospiele spielten.[50]

Tatsächlich ist davon auszugehen, dass der Kreis der Spielenden in der DDR deutlich heterogener war. Obwohl sich das damals im Westen vorherrschende Bild vom vorwiegend jugendlichen, männlichen, bewegungsunlustigen und verstiegenen Computerspieler mit einem schwer nachvollziehbaren Hobby in Teilen bis heute hält, gab es den Computerspieler oder die Computerspielerin in der Zeit nicht, selbst wenn der Kreis generell weniger vielfältig gewesen sein wird als gegenwärtig. Angesichts der Studien für Westdeutschland, die für die 1980er-Jahre Videospielen als eine männlich dominierte Subkultur beschrieben haben, ist für Ostdeutschland in den Jahren von einer ähnlichen Dominanz der Spieler auszugehen. Geschlecht war aber nur ein Faktor, bestanden doch unter den Spielenden durchaus Unterschiede etwa nach Alter oder Vorlieben für bestimmte Spiele. Denn das Angebot an unterschiedlichen Spielgenres erforderte jeweils ein spezifisches Nutzungsverhalten und zog damit verschiedene Typen von Spielenden an. Bereits Anfang der 1980er-Jahre stand eine Palette unterschiedlicher Spielformen zur Verfügung: Spiele, die ohne Zeitdruck auskamen, dafür aber längeres Nachdenken und Überlegen erforderten, darunter Strategie- und Kriegsspiele, Adventures, oder Rollenspiele neben Action-Titeln,[51] die vor allem die Reaktionsfähigkeiten auf die Probe stellten, darunter Kampf-, Labyrinth-, Sport-, Renn- und Rückschlagspiele.[52] Da in der DDR neben den eigenen vor allem Spiele aus dem Westen gespielt wurden, kann von einer ähnlichen Heterogenität an Spielformen und damit an unterschiedlichen Gruppen von Spielenden, die sich so angesprochen fühlen konnten, ausgegangen werden.

Ebenso spricht dafür, dass analog zu den Entwicklungen in der westlichen Welt in der DDR, genauer gesagt in Ost-Berlin, eine Cracker- und Demoszene entstehen konnte, deren spezifischer Umgang mit dem Medium darin bestand, die Grenzen der technischen Möglichkeiten immer wieder neu auszuloten und weiter zu verschieben.[53] Im Unterschied zum Westen rankte sich allerdings um die Computer vor allem ostdeutscher Herkunft eine besondere Bastlerkultur, und es erforderte in der Mangelwirtschaft immer eine besondere Findigkeit, Geräte, Bauteile, Programme oder Handbücher zu beschaffen. Trotz dieser Hürden ist gleichwohl anzunehmen, dass auch in der DDR das eigentliche Spielen über längere Phasen eher im privaten Bereich stattfand. Dafür spricht allein schon das Zahlenverhältnis zwischen öffentlichen und privat vorhandenen Geräten, das sich zugunsten von Letzteren zu verschieben begann, sobald die Fangemeinde wuchs, mehr DDR-Computer verkauft wurden und vor allem die Verfügbarkeit von West-Geräten stieg – wenngleich ihr Besitz in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre immer noch eine Besonderheit darstellte. Über die öffentlich zugänglichen Computer und Spielautomaten mögen viele Menschen mit dem Medium in Berührung gekommen und in Austausch mit anderen getreten sein, aber eine intensivere Beschäftigung mit dem Hobby Computer und Computerspielen erforderte einen längeren, idealerweise dauerhaften Zugang zu Hard- und Software. So verwundert es kaum, dass jene Interviewpartner, die sich damals schon detailliertere Kenntnisse aneigneten und eigene Spiele programmierten, zumeist im heimischen Umfeld auf Computer zugreifen konnten und die Clubs eher zum Austausch mit Gleichgesinnten und zum Spieletausch nutzten.[54] Die hier berücksichtigten Spielbegeisterten umfassen jedoch mehr als die hochspezialisierten Cracker, die sich als »Untergrund-Vorhut der Computerfans« verstanden,[55] bewegten sich doch auf dem Feld zweifellos viele, denen das Spielen selbst genügte, ohne sich detailliert in Programmiersprachen und Codes einzuarbeiten.

Wenn es für die DDR – ähnlich wie für den Westen – zutrifft, dass der größte Teil der Spielzeit im privaten Raum verstrich, war das Spielen im Staatssozialismus auch stärker auf das eigene spielerische Erleben selbst ausgerichtet. Selbst wenn jemand die offiziellen und inoffiziellen Tauschbörsen für Spiele,[56] also die Clubs oder Veranstaltungen wie die Leipziger Messe, aufsuchte oder in den Clubs mit den anderen »richtige Zocker-Sessions« veranstaltete,[57] in denen ein reger Austausch während des Spielens stattfinden konnte, wird der überwiegende Teil des Spielens trotzdem daheim allein oder mit wenigen Gleichgesinnten stattgefunden haben. Darauf deuten zumindest die Aussagen von damaligen Spielenden hin. Belastbare Angaben dazu müssten allerdings erst noch ermittelt werden.

Erste Studien zur Hackerszene in der DDR erkennen eigenständige kulturelle Praktiken und eigene Subkulturen in diesem Bereich.[58] Für die Spielenden wäre dieser Befund erst noch zu prüfen und zu belegen, denn selbst wenn beide Gruppen durchaus Überschneidungen aufweisen mögen, sind die Interessen und Aktivitäten von Hackern weitaus spezialisierter. Diese erfordern nämlich wesentlich umfassendere Kenntnisse in Computertechnik, als sie bloß Spielinteressierte aufweisen mussten und müssen. Für die Existenz einer eigenen Subkultur oder eigener Subkulturen von Spielenden bedürfte es zudem einer gewissen Homogenität in Vorstellungen, Werten und Praktiken ebenso wie eines Zugehörigkeitsgefühls. Ob hier tatsächlich – nicht zuletzt wegen der Mangelsituation hinsichtlich der Ausstattung – die Verlagerung des Spielens in den öffentlichen Raum und so die Vergemeinschaftung im Mittelpunkt stand und so ein auffälliger Unterschied zwischen der Spielerfahrung in der DDR gegenüber jener in Westdeutschland vorlag, wäre erst noch zu prüfen.[59] Ähnliches gilt für das Selbstverständnis der Spielenden und ihr Verhältnis zu den Deutungen von außen, etwa vom Staat, von der Gesellschaft oder einzelnen Teilen aus Wissenschaft, Bildung, Pädagogik usw. Denn diese Fremddeutungen konnten Spielbegeisterte akzeptieren, teilen, modifizieren, verwerfen oder durch eine andere Deutung ersetzen. Als Beispiel sei an die Wirkung angeknüpft, die die »eigenen West-Geräte« auf Volker Strübing und seine Freunde ausübten: »Unsere C64 waren wie ein Tor in eine komplett neue Welt. Da gab es keine Erwachsenen und keine politischen Zwänge wie in der FDJ. Da waren wir frei.«[60] Dieses Freiheitsgefühl konnte sich erst einmal ganz konkret auf die Möglichkeiten des Spielens und der Computernutzung beziehen, ohne begrenzende Vorgaben von »Erwachsenen«; es konnte aber ebenso darüber hinausreichen und den Wunsch nach größeren Freiheiten in einem gesellschaftlichen System voller Unfreiheiten enthalten. Ob dieser Wunsch gleichzeitig regimegefährdendes Potenzial besaß, ist eine andere Frage.

 

 

Aus dem Westen, vom Staat, selbst geschrieben: Computerspiele in der DDR

 

Ein nicht unerheblicher Teil des Spielens wurde durch das Spiel selbst, also die Software bestimmt. Welche Spiele waren begehrt oder fanden den größten Anklang, welche Spielprinzipien, welche Gestaltung in Grafik und Sound? Wo gab es Optimierungsbemühungen, die dann in neue Programmierungen mündeten? Was in der digitalen sozialistischen Spielwelt im Privaten oder in staatlichen Computerkabinetten verfügbar war, kam im Wesentlichen aus drei Quellen: aus staatlicher Produktion, aus Eigenproduktionen von Spielenden oder aus dem Westen.

Der Staat förderte die Nutzung von Computerspielen, das hieß von Spielen im Einklang mit den ideologischen Vorgaben, ebenso, wie er die Nutzung von Computern jenseits des Spielens vorantrieb, ohne jedoch mit dem Bedarf Schritt halten zu können. Die Spielesammlungen, die es frei zu kaufen gab, ebenso wie die Spielesoftware, die Robotron und Mühlhausen mit ihren Computern verkauften – eine Sammlung im ersten Fall, acht Sammlungen im zweiten –, kamen allesamt als ideologisch unverdächtige und einfache Geschicklichkeitsspiele, Umsetzungen von bekannten Brettspielen oder leicht veränderte Varianten von Arcade-Titeln aus dem Westen wie »Pac-Man« oder »Breakout« daher.[61] Kombinationsspiele, Wissenstests und Informationsspiele galten der GST als besonders wertvoll.[62] Auf diesen Lern- oder Bildungscharakter hoben die staatlichen Medien gerne ab, wann immer sie das Spielen am Computer ansprachen.[63] Generell sollten die Spiele den friedliebenden Grundcharakter des Sozialismus – im Unterschied zu den in Westdeutschland populären kriegerisch-militaristischen Titeln mit ihrem »antihumanen Charakter«, ihrer »Verherrlichung des Sternenkrieges, von Gewalt und Völkerhaß« – belegen.[64] Dass sich diese ideologische Haltung nicht vollständig mit der Realität deckte, ließen selbst die offiziellen DDR-Spiele erkennen, die durchaus Spielmuster aus dem Westen nachahmten, wie zudem die von den meist jugendlichen Enthusiasten im sozialistischen deutschen Teilstaat selbst programmierten Titel, die sich ebenfalls oft von populären Settings aus dem »imperialistischen Westen« inspirieren ließen.[65] Einige dieser Hobbyproduktionen wurden durchaus von staatlicher Seite aufgekauft und in die offiziell angebotenen Spielesammlungen aufgenommen.[66] Solche Überschneidungen staatlicher und privater Interessen gab es offenbar selbst auf dem Feld der digitalen Spiele, einem Feld also, das zugleich Möglichkeiten bereithielt, sich dem Regime zu entziehen oder zumindest eine Gratwanderung zwischen Konformität und Nonkonformität anzustreben und umzusetzen. Vor allem eine Ausweitung der Untersuchung auf eine große Zahl von Computerspielenden in der DDR könnte Aufschluss darüber geben, wie stark welche Einflüsse hier tatsächlich wirkten.

Der weitaus größere Teil an im Land produzierten Spielen entstand allerdings in Eigeninitiative aus dem Umstand heraus, dass es zu wenige zu kaufen gab. Nicht überall in der DDR hatten die Interessierten die Chance, an West-Spiele zu kommen, selbst wenn sich ein reger Tausch entwickelte. Für die DDR-Computer wurde die Spielesoftware ohnehin nur im eigenen Land entwickelt. Das wiederum beförderte das eigene Programmieren für Ost-, aber auch für West-Geräte. Populäre Spielprinzipien wie »Breakout« (1976), »Pac-Man« (1980) oder »Boulder Dash« (1984) kamen in leicht veränderten Eigenkreationen als »Mad Breakin« (1990),[67] »Pursuit« (o. J.)[68] und »Pengo« (1988) zu den Spielenden in der DDR – zur Nutzung auf den im eigenen Land produzierten Geräten. Gleiches gilt für »Jungle« (1989), das spielerisch von »Donkey Kong« (1981) inspiriert war und sich vom Setting her an »Pitfall« (1982) orientierte.[69] Das im Westen bekannteste Spiel, das in der sozialistischen Welt entstanden war, »Tetris«, fand ebenfalls seinen Weg auf die DDR-Rechner als Nachprogrammierung aus dem Jahr 1989 – und damit in etwa zeitgleich mit dem Erscheinen der Version für den Gameboy, die dem Spiel seine weltweite Beliebtheit einbrachte. Dem von der Staatsführung immer wieder betonten Lernaspekt von Spielen zollten die privaten Entwickler – Entwicklerinnen sind bislang noch nicht belegt – ebenfalls Respekt, unter anderem mit Titeln wie »Wer hat die Vorfahrt?« (1987).[70] Im Vorspann enthielten die Spiele, die kostenlos und bei ideologischer Unbedenklichkeit legal getauscht werden konnten, Namen und Adresse des Entwicklers zur leichteren Kontaktaufnahme. Das bildete für beide Seiten eine gute Möglichkeit, Gleichgesinnte zu finden und sich mit ihnen auszutauschen. Auf Kassetten gingen die Spiele postalisch an die Interessierten, sodass mitunter Verbindungen über das gesamte Gebiet der DDR entstanden.[71]

Schließlich kursierten in der DDR in beachtlicher Zahl beliebte Spiele aus dem Westen für den C64, den Atari ST und andere West-Computer, die über die deutsch-deutsche Grenze in die DDR und alle übrigen Ostblockstaaten gelangten.[72] Auf diesem Weg wanderten neben den Spielideen für die DDR-eigene Produktion auch solche Titel hinter den Eisernen Vorhang, die der dortigen Staatsführung ein Dorn im Auge sein mussten. Doch vermochte die Propaganda gegen die vermeintlichen »Ballerspiele« aus dem Westen,[73] die nur Gewalt, Menschenfeindlichkeit und Brutalität verbreiteten, kaum etwas auszurichten. Die staatlichen Medien betonten zwar gebetsmühlenartig die negativen Auswirkungen von gewaltverherrlichender und sogar rechtsradikaler Software, die auf westdeutschen Schulhöfen »wie Drogen« gehandelt würden.[74] Tatsächlich zirkulierten, abgesehen von den rechtsradikalen Spielen, die meisten West-Titel, darunter selbst Kriegsspiele, weitgehend ungehindert im Osten. Auf Datenträger überspielt und so in Umlauf gebracht, nahmen die Spielenden in der DDR ebenso wie jene im Westen am »Super Bowl« (1986) teil, kämpften sich mit ihren Karatekünsten als »Bruce Lee« (1984) durch 20 Level, kontrollierten den Flugverkehr am Londoner Flughafen Heathrow (»Heathrow International Air Traffic Control«, 1984) oder stiegen direkt selbst in ein Kampfflugzeug des Ersten Weltkriegs (»Blue Max«, 1983) ein, um als britisches Fliegerass Karriere zu machen, sofern es sie nicht eher dahin zog, den modernsten Kampfhubschrauber des Klassenfeindes USA auszutesten und damit Jagd auf Panzer, Helikopter und andere Ziele zu machen (»Tomahawk«, 1985). Sie konnten ebenso eher harmlose Dinge tun wie Zeitungen austragen (»Paperboy«, 1984), sich mit dem britischen Zehnkampfstar Daley Thompson um den Titel des Königs der Athleten streiten (»Daley Thompsonʼs Decathlon«, 1984) oder sich als »Dictator« (1982) darum bemühen, möglichst alle Fraktionen im eigenen Land bei Laune und sich selbst an der Macht zu halten. Wem der bloße Machterhalt nicht reichte, der konnte sich stattdessen auf eine »Impossible Mission« (1984) begeben und in nur sechs Spielstunden einen verrückten Professor davon abhalten, die Welt in den Abgrund einer nuklearen Katastrophe zu stürzen. Während der fiktive mad scientist für die Staatsführung der DDR möglicherweise noch akzeptabel war, hätte dagegen »Raid over Moscow« (1984) eigentlich schwerwiegende Folgen für Spielende haben müssen. Denn mit seinem zeittypischen Setting erlaubte das Spiel, den amerikanischen Gegenschlag nach einem sowjetischen Atomangriff zu simulieren.[75] Dennoch gehörte selbst dieses Spiel offenbar zu jenen Titeln, die in der DDR zumindest in Einzelfällen verfügbar waren.[76]

Darüber, welche Spielformen und welche Titel bei welchen – Gruppen von – Spielenden wann besonders angesagt waren, ob über das Spielprinzip hinaus das Setting überhaupt eine Rolle spielte, oder wie die Titel in welchen Vernetzungen entstanden, ist bisher ebenso wenig bekannt wie über das Erleben des eigentlichen Spielens. Hinsichtlich der Spiele eröffnet sich angesichts der gegebenen Bandbreite an Spielgenres demnach mindestens ein ebenso weites und unerforschtes Terrain wie hinsichtlich der Spielerinnen und Spieler.

 

 

Fazit

 

Mit den drei hier etwas näher betrachteten Bereichen Staat, Spielende und Spiele sind die wichtigsten, wenngleich noch keineswegs alle Bereiche im Zusammenhang mit Computerspielen in der DDR angesprochen. So wie sich der Bezug zum Spielen in Westdeutschland bzw. im Westen als vielversprechender Vergleich und Transfer angedeutet hat, lohnt sich ebenso die stärkere Einordnung des Computerspielens in Ostdeutschland mit vergleichbaren Tendenzen in anderen staatssozialistischen Gesellschaften in Ostmittel- und Osteuropa.[77] Denn letztlich handelte es sich bei den digitalen Spielen als Motor der – privaten und individuellen – Computerisierung um ein zeitgeschichtliches Phänomen, das sich systemübergreifend entfaltete. Wo dabei genau die Trennlinien verliefen, wo Überschneidungen und Gemeinsamkeiten bestanden, gehört zu den weiterreichenden Fragen dieser Art des Spielens.

Für jeden der drei Bereiche lassen sich noch zahlreiche weitere Fragen stellen und Untersuchungsbereiche entdecken. In manchen Fällen ist reichhaltiges Quellenmaterial vorhanden, in anderen müsste erst noch weiteres ermittelt oder in Interviewprojekten neu zusammengetragen werden. Was man dann aus einem der hier vorsichtig formulierten Befunde herauslesen kann, dass etwa große Überschneidungen bei den Spielen bestanden, die in West- und Ostdeutschland am Computer »gezockt« wurden, hängt dann vom konkreten Erkenntnisinteresse der entsprechenden Studien ab. Ähnliches gilt für die Spielenden und vermutlich sogar das Spielerlebnis, dessen nähere Aufschlüsselung in bestimmten Zusammensetzungen und Situationen zu bestimmten Zeiten spannende Einsichten zu vermitteln mag. Ob jenseits des zweckfreien Spielens und Spaßhabens keine weitere Bedeutung im eigenen Tun gesehen wurde oder ob etwa das Gefühl eines »autonomen Handelns« aufkam,[78] bei Nutzung von West-Spielen vielleicht noch ein Moment der Freiheit erlebt wurde, führt nämlich mitten hinein in die eingangs gestellte Frage, ob sich mit dem Spielen am Computer in der DDR wirklich ein »Tor in eine komplett neue Welt« öffnete.

 

 


[1]     Aussage von Volker Strübing über seine Computererfahrungen als Jugendlicher in der DDR, zit. n. Denis Gießler: Computerspiele in der DDR. Teil 2: Spiele für die Stasi, in: GameStar vom 17. Mai 2017, in: www.gamestar.de/artikel/computerspiele-in-der-ddr-teil-2-spiele-fuer-die-stasi,3313953.html (ges. am 15. April 2020). Der Zugriff auf den Artikel ist kostenpflichtig. Eine gedruckte Fassung, in der das Zitat aber nur in gekürzter Form vorkommt, findet sich in Denis Gießler: Der verspielte Osten. Computerspiele in der DDR, in: GameStar Nr. 5 vom 19. April 2017, S. 106.

[2]     Siehe etwa Werner Faulstich: Die Anfänge einer neuen Kulturperiode: Der Computer und die Neuen Medien, in: ders. (Hg.): Die Kultur der achtziger Jahre, München 2005, S. 231–234.

[3]     Jürgen Danyel/Annette Schuhmann: Wege in die digitale Moderne: Computerisierung als gesellschaftlicher Wandel, in: Frank Bösch (Hg.): Geteilte Geschichte. Ost- und Westdeutschland 1970–2000, Bonn 2015, S. 290.

[4]     Siehe zu den ökonomischen Motiven etwa Ralf Ahrens: Spezialisierungsinteresse und Integrationsversion im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Der DDR-Werkzeugmaschinenbau in den 1970er Jahren, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Bd. 49, H. 2, 2008, S. 73–92; Peter Hübner: Arbeit, Arbeiter und Technik in der DDR, 1971 bis 1989, Bonn 2014.

[5]     Siehe Danyel/Schuhmann: Wege in die digitale Moderne (Anm. 3), S. 306; außerdem den Beitrag von Patryk Wasiak in diesem Band, der für Polen zum gegenteiligen Befund kommt.

[6]     Siehe dazu den Beitrag von Jaroslav Švelch in diesem Band, der diesen Aspekt für die Tschechoslowakei näher beleuchtet.

[7]     Siehe Danyel/Schuhmann: Wege in die digitale Moderne (Anm. 3), S. 293–295 u. 300–307. Siehe auch die Hinweise auf die bereits vorliegende Forschungsliteratur bei Martin Schmitt/Julia Erdogan/Thomas Kasper/Janine Funke: Digitalgeschichte Deutschlands: Ein Forschungsbericht, in: Technikgeschichte 83 (2016), H. 1, S. 49–55.

[8]     Die einzige längere Beschäftigung mit dem Thema, die bislang vorliegt, ist die Magisterarbeit des Medien- und Kulturwissenschaftlers Jens Schröder: Auferstanden aus Platinen. Die Kulturgeschichte der Computer- und Videospiele unter besonderer Berücksichtigung der ehemaligen DDR, Stuttgart 2010. Etwas ausführlicher fällt zudem ein Beitrag in der Fachzeitschrift »GameStar« von Denis Gießler aus, der neben einem Überblick über die Entwicklung der Spiele in der DDR zudem einen interessanten Blick auf einzelne Akteure – Akteurinnen nennt er nicht – wirft. Hinzu kommen einzelne kurze Aufsätze oder Buchkapitel sowie Zeitungs- und Magazinartikel. Die bislang unveröffentlichte Doktorarbeit von Julia Erdogan (»Avantgarde der Computernutzung. Hackerkulturen der Bundesrepublik und DDR«) konzentriert sich mehr auf Hacker, weniger auf Spielende. Auf diesen Fokus verweist auch der von ihr bereits publizierte Aufsatz, obschon sich darin einige Ausführungen über das Haus der jungen Talente (HdjT) als einem der staatlich organisierten Computerclubs finden. Siehe Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 94–107; ders.: Die Stasi spielte mit. Videospiele in der DDR, in: Zeit online vom 21. November 2018, in: www.zeit.de/digital/games/2018-11/videospiele-ddr-stasi-ueberwachung-gamer-szene-computer (ges. am 15. April 2020); ders.: Sommer vorm Computer. Videospiele in der DDR, in: Zeit online vom 4. Dezember 2018, in: www.zeit.de/digital/games/2018-11/videospiele-ddr-computer-kinder-elektronik-informatik (ges. am 15. April 2020); Boris Kretzinger: Pac-Man vs. Hase und Wolf. Computer- und Videospiele in der DDR, in: Stefan Zahlmann (Hg.): Wie im Westen, nur anders. Medien in der DDR, Berlin 2010, S. 378–384; Julia Gül Erdogan: Computerkids, Freaks, Hacker: Deutsche Hackerkulturen in internationaler Perspektive, in: Aline Maldener/Clemens Zimmermann (Hg.): Let’s historicize it! Jugendmedien im 20. Jahrhundert, Wien/Köln/Weimar 2018, S. 61–94; Sven Stillich: DDR-Computer. Mit Kilobytes gegen den Klassenfeind, in: Der Spiegel vom 22. Dezember 2009, in: www.spiegel.de/geschichte/ddr-computer-mit-kilobytes-gegen-den-klassenfeind-a-948669.html (ges. am 15. April 2020).

[9]     Roland Eckert/Waldemar Vogelgesang/Thomas A. Wetzstein/Rainer Winter (Hg.): Auf digitalen Pfaden. Die Kulturen von Hackern, Programmierern, Crackern und Spielern, Opladen 1991, S. 265.

[10]    Mikroelektronik avancierte in der DDR erst gegen Ende der 1970er-Jahre zu einem zentralen Feld der ausgerufenen Wissenschaftlich-Technischen Revolution. Siehe Peter Hübner: Arbeit, Arbeiter und Technik in der DDR, Bonn 2014, S. 197. Siehe dazu auch den Beitrag von Mario Bianchini in diesem Band.

[11]    Siehe Danyel/Schuhmann: Wege in die digitale Moderne (Anm. 3), S. 284, 292 f. u. 300.

[12]    Siehe Beschleunigung der Informatikausbildung im Bildungswesen [1986–1987], Bundesarchiv (im Folgenden: BArch), DR 2/14059; Ausbildung im Fach Mathematik (postgraduales Studium Informatik) [1981–1989], Bd. 2, BArch, DR 2/11708. Siehe auch Danyel/Schuhmann: Wege in die digitale Moderne (Anm. 3), S. 310.

[13]    Aufgrund des großen Interesses berichtete die Zeitschrift »Funkamateur« mehrfach über diese Kabinette. Siehe etwa K. H. Schubert: Jugendliche am Computer, in: Funkamateur, H. 1 vom Januar 1987, S. 42; Treffpunkt Computerkabinett, in: Funkamateur, H. 2 vom Februar 1987, nach S. 102 (Bildfolge); M. Schulz: Computersport … das Beispiel Frankfurt (Oder), in: Funkamateur, H. 2, Februar 1989, S. 55 f.

[14]    Konzeption fuer das Computerkabinett im KFL Freienbrink, Schreiben der Abteilung XIII, Unterabteilung 3 vom 12. Juni 1989, Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: BStU), MfS, Abt. XIII, Nr. 5530, Bl. 0007. Ich danke Denis Gießler für die Hinweise auf einige der relevanten Dokumente.

[15]    Das kam etwa in den Beiträgen einer Tagung im Oktober 1988 zum Ausdruck. Siehe etwa Gerd Hutterer: Erkenntnisse und Standpunkte zur Nutzung des Computers als Arbeitsmittel in der außerunterrichtlichen Tätigkeit, in: Pädagogische Hochschule N. K. Krupskaja Halle/Köthen (Hg.): Computernutzung in der außerunterrichtlichen Tätigkeit, Halle 1988, S. 7–18, hier S. 7, oder Edeltraud Keßler/Christine Krätzschmar: Pädagogische Ansprüche an die Gestaltung von Tätigkeiten der Kinder am Computer, ebd., S. 35–44, hier S. 42. In Polen wurde das Spielen am Computer deutlich kritischer gesehen. Siehe Patryk Wasiak: Dropping out of Socialism with the Commodore 64. Polish Youth, Home Computers, and Social Identities, in: Juliane Fürst/Josie McLellan (Hg.): Dropping out of Socialism. The Creation of Alternative Spheres in the Socialist Bloc, Lanham, MD/New York/London 2017, S. 157–175, hier S. 159.

[16]    Siehe Schröder: Auferstanden aus Platinen (Anm. 8), S. 92.

[17]    Siehe Danyel/Schuhmann: Wege in die digitale Moderne (Anm. 3), S. 300.

[18]    Siehe etwa Helmut Kaiser: Erlebnis CAD/CAM, in: Jugend + Technik, H. 7 vom Juli 1986, S. 540, wo es heißt, die Computertechnik des Landes sei so fortschrittlich, dass selbst die USA sich nicht nur dafür interessierten, sondern die entsprechenden Entwicklungen, in diesem Fall die Software, in der DDR kaufen würden.

[19]    Siehe Klaus-Dieter Weise: Erzeugnislinie Heimcomputer, Kleincomputer und Bildungscomputer des VEB Kombinat Robotron, o. O. 2005, in: robotron.foerderverein-tsd.de/322/robotron322a.pdf (ges. am 15. April 2020), S. 7.

[20]    Siehe zu den unterschiedlichen Computermodellen in der DDR René Meyer: Computer in der DDR, Erfurt 2019.

[21]    Siehe Stillich: DDR-Computer (Anm. 8), der die Zahl von etwa 200 000 West-Computern nennt, die über Geschenke, den Kauf durch Verwandte im Westen oder Intershops in die DDR gelangt seien. Im privaten Bereich sollen diese angesichts der Unterversorgung mit dem KC85 zeitweise häufiger anzutreffen gewesen sein als die DDR-Eigenprodukte. Siehe Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 104. Siehe auch Danyel/Schuhmann: Wege in die digitale Moderne (Anm. 3), S. 301. In Ost-Berlin ließ die SED sogar für die staatlichen Computerclubs West-Computer anschaffen. Zu der geschätzten Zahl siehe auch Andreas Lange/Michael Liebe: Germany, in: Mark J. P. Wolf (Hg.): Video Games around the World, Cambridge MA/London 2015, S. 193–206, zu Ostdeutschland S. 197–200, hier S. 200.

[22]    Nur die mit der Konsole angebotenen Spiele konnten genutzt werden. Siehe auch Kretzinger: Pac-Man vs. Hase und Wolf (Anm. 8), S. 379.

[23]    Siehe zu BSS 01 und PolyPlay-Automaten auch Meyer: Computer in der DDR (Anm. 20), S. 120–126, und Schröder: Auferstanden aus Platinen (Anm. 8), S. 65–70 u. 96–100.

[24]    Die Zeitschrift war das offizielle Organ der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), unter der auch der Computersport subsummiert war. Daher richtete sich der Inhalt der Zeitschrift entgegen dem Namen »Funkamateur« nicht ausschließlich an Amateurfunkinteressierte, sondern an alle technisch interessierten Menschen.

[25]    Einzelne Berichte darüber, dass auch das Spielen an diesen Orten zur Nutzung von Videospielen in der DDR gehörte, liegen vor. Das Feld wartet aber noch auf seine systematische Erforschung. Siehe dazu auch den Abschnitt »Basteln, Spielen, Tauschen, Programmieren …«.

[26]    Information zu ersten Erkenntnissen bei der Nutzung dezentraler Rechentechnik im Freizeitbereich, Schreiben der AG Geheimnisschutz vom 28. November 1988, BStU, MfS, BV Berlin, Abt. II, Nr. 632, Bl. 0014.

[27]    Ebd., Bl. 0015 und 0017.

[28]    Siehe auch Erdogan: Computerkids, Freaks, Hacker (Anm. 8), S. 85 f., die vom Begriff der »Computerfans« als zeitgenössisch spricht. Für Polen hat Patryk Wasiak ebenfalls von einer scheinbar klar abgrenzbaren Gruppe gesprochen. Die »komputerowiec«, die Computernutzerinnen und -nutzer, verwandten den Begriff jedoch für sich selbst und die Schaffung einer Identität jenseits der staatssozialistischen Vorgaben zur sinnvollen Nutzung der neuen Technologie. Nicht selten rankten sich diese Identitäten um bestimmte Computermarken wie Atari oder C64: Wasiak: Dropping out of Socialism (Anm. 15), S. 157–175, hier S. 157 u. 167–170. Die Vorliebe für West-Geräte herrschte auch in der DDR, ohne dass daraus zwangsläufig eine eigene Subkultur mit einer spezifischen Identität entstehen musste. So beschrieb es etwa Volker Strübing in einem Interview: »Andere Jugendliche mussten sich damit zufriedengeben, in Schulen und Jugendzentren an KC-Computern zu sitzen, während wir unsere eigenen West-Geräte hatten.« Volker Strübing, zit. n. Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 106. Auch Bernd Beyreuther beschreibt sich damals aufgrund der erweiterten technischen Möglichkeiten als »heiß auf die West-Technik« (zit. n. ebd., S. 98).  

[29]    Entwicklung des Computersports in der GST, Schreiben des Leiters der Hauptabteilung III an seinen Stellvertreter vom 26. August 1986, BStU, MfS, HA III, Nr. 10593, Bl. 000057.

[30]    Siehe Einordnung des Computersports/der Computerclubs der GST in die komplexen Aufgaben des elektronischen Kampfes der Linie III, Schreiben des Leiters der Hauptabteilung III an die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in Suhl, BStU, MfS, BV Suhl, Abt. II, Nr. 1377, Bl. 0161 f.

[31]    Es war durchaus üblich, dass Mitglieder ihre eigenen Geräte von zu Hause mitbrachten und das Spielen von Computerspielen in diesem Fall – viel stärker als in Westdeutschland – zu einer Aktivität in Gemeinschaft wurde. Siehe dazu auch den Abschnitt »Basteln, Spielen, Tauschen, Programmieren …«.

[32]    Siehe dazu den Beitrag von Jaroslav Švelch in diesem Band.

[33]    Siehe Aussage von Timo Ullmann über das Spielen bestimmter West-Spiele in der DDR, zit. n. Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 106.

[34]    Siehe Operative Informationen. Quelle: WR-Kader Arnold, Jens. Abteilung XX/2, Berlin, 16. Januar 1988, BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 4334, Bl. 000114 f.

[35]    Siehe Information zu ersten Erkenntnissen bei der Nutzung dezentraler Rechentechnik im Freizeitbereich, Schreiben der AG Geheimnisschutz vom 28. November 1988, BStU, MfS, BV Berlin, Abt. II, Nr. 632, Bl. 0014.

[36]    Stefan Seeboldt, damals Jugendclubleiter im HdjT in Berlin, berichtet, er habe mit der Finanzchefin des Hauses in Berlin-Köpenick eine »Einkaufstour« gemacht und Computer, Monitore und Zubehör gekauft. Siehe Interview mit Stefan Paubel [ehem. Seeboldt], in: Meyer: Computer in der DDR (Anm. 20), S. 108.

[37]    Dessen Eröffnung fand sogar in den staatlichen Medien als Beleg dafür Erwähnung, dass sich der Staat an den Bedürfnissen der jungen Menschen orientiere. Siehe Martina Krüger: Musik am Computer im Haus der jungen Talente, in: Neues Deutschland Nr. 13 vom 16. Januar 1986, S. 8.

[38]    Haus der jungen Talente hat jetzt Computerclub, in: Berliner Zeitung Nr. 19 vom 23. Januar 1986, S. 12.

[39]    Stefan Seeboldt: Programmierer Olympiade, in: Neues Leben o. J., o. Pag., zit. n. Erdogan: Computerkids, Freaks, Hacker (Anm. 8), S. 80.

[40]    Siehe ebd., S. 76 u. 79 f. Siehe zum Begriff der Kreativität auch die Beiträge von Juliane Brauer und Cathleen Giustino in diesem Band.

[41]    Siehe Abschnitt »Aus dem Westen, vom Staat, selbst geschrieben …« zu den Spielen in der DDR.

[42]    Thilo Mischke: Planspiel Ost, in: GEE. Games. Entertainment. Education (2004), H. 9, S. 58.

[43]    D. Sommer: Computersport der GST – vielseitig und interessant, in: Funkamateur, H. 2 vom Februar 1987, S. 57.

[44]    Bildung der Sektion Computer-Wehrsport, Schreiben des GST Kreisvorstandes im VEB Chemiekombinat Bitterfeld an den GST Bezirksvorstand vom 8. September 1986, BStU, BV Halle, ZPL, Nr. 449, Bl. 0067. Das Schreiben zitiert dabei eine Aufgabenstellung aus der Parteikonzeption des ZK der SED vom Mai des Jahres 1986.

[45]    Siehe etwa die Berichterstattung in der DDR-Presse: Spiel mit Computern, in: Neue Zeit Nr. 127 vom 1. Juni 1987, S. 3; Tausende Besucher auf der Wissenschaftsschau, in: Neues Deutschland Nr. 127 vom 1. Juni 1987, S. 4; Heinz Singer: Zwei Tage lang Volksfest zwischen Alex und Jannowitzbrücke, in: Neues Deutschland Nr. 165 vom 16. Juli 1987, S. 8; Axel Knack: Thüringer Volksfest – ein Riesenspektakel, in: Berliner Zeitung Nr. 166 vom 17. Juli 1987, S. 12.

[46]    Siehe etwa die zwölfteilige Serie unter dem Titel »Funkamateure entwickeln Amateurcomputer ›AC 1‹«, in: Funkamateur, H. 12 vom Dezember 1983 bis H. 1 vom Januar 1985, oder die elfteilige Bauanleitung unter dem Titel »Komfortabler Personalcomputer für den erfahrenen Amateur«, in: Funkamateur, H. 1 vom Januar 1988 bis H. 11 vom November 1988.

[47]    Zur Tschechoslowakei und zu Polen zu jeweils speziellen Gruppen bzw. Subkulturen siehe die Beiträge von Jaroslav Švelch und Patryk Wasiak in diesem Band, zu osteuropäischen Computerkids und den westlichen Crackern den vorletzten Abschnitt im Beitrag von Gleb J. Albert sowie ders.: Subkultur, Piraterie und neue Märkte. Die transnationale Zirkulation von Heimcomputersoftware, 1986–1995, in: Frank Bösch (Hg.): Wege in die digitale Gesellschaft. Computernutzung in der Bundesrepublik 1955–1990, Göttingen 2018, S. 274–299.

[48]    Siehe etwa Thorsten Quandt/Jeffrey Wimmer/Jens Wolling (Hg.): Die Computerspieler. Studien zur Nutzung von Computergames, Wiesbaden 2008; Jürgen Fritz: Wie Computerspieler ins Spiel kommen. Theorien und Modelle zur Nutzung und Wirkung virtueller Spielwelten, Leipzig 2011.

[49]    Siehe Franz Ablinger: Homecomputer. Zur Technik- und frühen Computerspielkultur anhand einer Zeitschrift der Jahre 1983 und 1984, Glückstadt 2019.

[50]    Das beste Beispiel für eine solche Konzentration auf bestimmte Spielende liefert der Artikel von Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1).

[51]    Es sei darauf verwiesen, dass die heute existierenden zeitkritischen Echtzeitstrategiespiele ihren Ursprung in den frühen 1990er-Jahren haben. Für die Dekade davor sind alle Titel, die diesem Genre zugeschrieben werden, in Spielrunden gegliedert und verzichten daher auf zeitkritische Aktionen, die eben ein Reagieren innerhalb kurzer Zeit, mitunter von Sekunden, erfordern.

[52]    Siehe Chris Crawford: The Art of Computer Game Design, Berkeley, CA 1984, S. 20–38.

[53]    Siehe Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 95 u. 105. Siehe auch den Beitrag von Gleb J. Albert in diesem Band.

[54]    Siehe Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 99, 101 u. 106.

[55]    Siehe den Beitrag von Gleb J. Albert in diesem Band (im Abschnitt »Politische Computerkids oder unpolitische Subkultur?«).

[56]    Siehe Schröder: Auferstanden aus Platinen (Anm. 8), S. 94.

[57]    Aussage von Timo Ullmann über die Computerclubs in der DDR, zit. n. Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 106.

[58]    Siehe Erdogan: Computerkids, Freaks, Hacker (Anm. 8), S. 69–75.

[59]    Das sind einige der wesentlichen Schlussfolgerungen von Julia Erdogan aufgrund der höheren Notwendigkeit in Ostdeutschland, zu improvisieren und mit anderen zu kooperieren, um die Voraussetzungen für das Spielen überhaupt erst schaffen zu können. Siehe Erdogan: Computerkids, Freaks, Hacker (Anm. 8), S. 83 u. 89 f. Von einem Gegensatz von privatem Spielen in Westdeutschland und öffentlichem in der DDR spricht auch Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 98.

[60]    Aussage von Volker Strübing über seine Computererfahrungen als Jugendlicher in der DDR, zit. n. Gießler: Computerspiele in der DDR (Anm. 1).

[61]    Siehe Schröder: Auferstanden aus Platinen (Anm. 8), S. 94.

[62]    Siehe Sommer: Computersport der GST (Anm. 43), S. 57.

[63]    Siehe etwa Cornelia Schach: Mit dem Computer auf du und du, in: Neue Zeit Nr. 48 vom 26. Februar 1987, S. 8; Schüler vielseitig an Computer herangeführt, in: Neues Deutschland Nr. 4 vom 6. Januar 1987, S. 8; Spannende Computerspiele, in: Neues Deutschland Nr. 88 vom 14. April 1988, S. 8.

[64]    K.-H. Schubert: Poly-Play – Computer als Spielpartner, in: Funkamateur, H. 3 vom März 1987, S. 136.

[65]    Siehe Nutzer »Commodus«: Computerspiele in der DDR, Antwort 16 vom 15. Mai 2010, in: Kultboy.com, www.kultboy.com/smforum/index.php/topic,2173.msg184429.html (ges. am 14. April 2020). In diesem Foren-Thread wurden zwischen 2008 und 2010 in 81 Postings Erfahrungen mit digitalen Spielen in der DDR ausgetauscht. Intensiv erörtert wurden die Schwierigkeiten, sich überhaupt Zugang zu ihnen zu verschaffen.

[66]    Alexander Lang berichtet im Interview davon, dass der VEB Mühlhausen ihm sein Spiel »Digger« für 3000 Mark abgekauft habe. Ähnliche Erfahrungen machte André Weißflog mit seiner Entwicklung »Pengo«. Siehe Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 101.

[67]    Das Spiel ist vom Programmierer Raimo Bunsen auf den 2. Januar 1990 datiert worden, erschien also noch zu DDR-Zeiten, aber bereits nach dem Mauerfall.

[68]    Eine Variante des Spiels arbeitete mit den Motiven von »Hase und Wolf«, die Spielende bereits aus dem PolyPlay-Spielautomaten kennen konnten. Eine andere Variante wurde mit Teufeln anstatt mit Wölfen gespielt.

[69]    Siehe Schröder: Auferstanden aus Platinen (Anm. 8), S. 93.

[70]    Eine große Zahl von Spielen für die KC85-Computer hat Alexander Lang als einer der Enthusiasten von damals mithilfe eines webbrowserbasierten Emulators wieder zugänglich gemacht. Siehe Alexander Lang: KC85/3 und KC85/4 Emulator mit über 180 Spielen, in: lanale.de/kc85_emu/KC85_Emu.html (ges. am 15. April 2020).

[71]    So berichtete André Weißflog in einem Interview mit Jens Schröder aus dem Jahr 2005. Siehe Schröder: Auferstanden aus Platinen (Anm. 8), S. 94.

[72]    Siehe Mischke: Planspiel Ost (Anm. 42), S. 60; Albert: Subkultur, Piraterie und neue Märkte (Anm. 47). Siehe auch Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 102 f.

[73]    Siehe F. Noll: Bomben, ballern, metzeln …, in: Funkamateur, H. 11 vom November 1989, S. 528 f., hier S. 529. Von da konnte die Propaganda direkt eine Linie zu den »neofaschistische[n] Softwareprodukte[n]« (S. 529) ziehen, die nationalsozialistisches oder militaristisches Gedankengut verbreiteten. Die Computerspielproduktion war somit ein weiteres Feld, auf dem sich die Systemkonkurrenz austragen ließ. Siehe auch »BRD: Gewaltverherrlichung durch ›Computerspiele‹«, in: Neues Deutschland Nr. 200 vom 24. August 1988, S. 5; Hans-Werner Oertel: BRD: Judenpogrom als Computer-›Spiel‹, in: Berliner Zeitung Nr. 265 vom 9. November 1988, S. 7; Immer mehr neonazistische Computerspiele in der BRD, in: Neues Deutschland Nr. 204 vom 30. August 1989, S. 5.

[74]    Siehe auch Gießler: Der verspielte Osten (Anm. 1), S. 102 f. Die intensive Einbindung von Computerspielen westlicher Studios in die Propaganda des Systemkonflikts bildet einen weiteren jener interessanten Aspekte im Zusammenhang mit Computerspielen in Ost und West in den 1980er-Jahren, die noch auf ihre systematische Erforschung warten.

[75]    Siehe zum Spiel und seiner Bedeutung im Systemkonflikt Clemens Reisner: Cold War Games. Der Kalte Krieg in Computerspielen (ca. 1980–1995) (= TransKult. Studien zur transnationalen Kulturgeschichte, Bd. 3), Wien/Köln/Weimar 2020, S. 216–230.

[76]    Alle genannten Beispiele standen u.a. im Computerclub des HdjT in Berlin in der zweiten Hälfte der Dekade zur Verfügung.

[77]    Die Beiträge in diesem Band zu dieser Spielkultur wären in einem nächsten Schritt von Studien zu einzelnen Ländern zu Verflechtungsgeschichten weiterzuentwickeln.

[78]    Siehe Erdogan: Computerkids, Freaks, Hacker (Anm. 8), S. 83.

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